Gehirnfluesterer
professionelle Basketballspieler in den USA, die über 1,95 groß sind. Nun zu den
Bankmanagern. Wie viele von den 15 000 sind über 1,95 groß? Machen wir eine vorsichtige Schätzung und sagen wir, zwei Prozent. Aber selbst wenn nur zwei Prozent
der Bankmanager so groß sind, dann handelt es sich bei 15 000 insgesamt immer noch um 300 Personen, also um neunzig mehr als bei den Basketballprofis.
Oje! Was gerade mit den Basketballspielern und Bankmanagern passierte, führt hin zu Keith Barretts zweitem Schlüsselreiz der
Beeinflussung – der Annäherung. In seinem System bezieht sich Annäherung auf unsere Haltungen und Meinungen über die Welt.
Oder noch genauer, darauf, wie diese Haltungen und Meinungen unsere Entscheidungen beeinflussen. Die Ursache für unsere wenig
überzeugende Vorstellung bei solchen Gelegenheiten ist ganz einfach. Sie hat damit zu tun, wie unser Gehirn Umweltinformationen
verarbeitet.
Im oben genannten Beispiel muss das Gehirn einen »Fall« lösen. Seine detektivischen Fähigkeiten sind gefordert. Das »Verbrechen«
ist die Größe von 1,95, und es gibt zwei »Verdächtige«, einen Bankmanager und einen Basketballprofi. Anhand dieser Eingangsinformation
macht das Gehirn einen vorläufigen Check in seiner Datenbank. »Reine Routine, Sir.« Und dabei ploppt etwas Interessantes auf
dem Bildschirm auf. Der Basketballspieler hat ein langes »Vorstrafenregister«. Der Bankmanager nicht. Und was macht das Gehirn
angesichts solcher »Beweise«? Dasselbe wie jeder andere Hobbydetektiv. Es nimmt den Basketballspieler vorläufig fest und verschont
den Bankmanager.
Ein Vergleich zwischen dem Gehirn und einer polizeilichen Datenbank begegnet einem nicht gerade häufig in der psychologischen
Literatur. Dafür gibt es wahrscheinlich ein paar gute Gründe. Aber für unsere Zwecke eignet er sich ganz hervorragend. Denn
genau wie in einer solchen Datenbank überprüft unser Gehirn die hereinkommenden Informationen anhand von vorhandenen Annahmen
und bekannten Eigenschaften. Es betätigt sich im Schnelldenken. Es versucht mit begrenztem Wissen und wenig Zeit zu einer
Lösung zu kommen. Man nennt das Heuristik.
In der Kategorie Körpergröße zum Beispiel ist eine Länge von über 1,95 eine bekannte Eigenschaft von Basketballspielern. Und
deshalb passen aller Wahrscheinlichkeit nach die beiden besser zusammen als die Körpergröße und der Bankmanager. In der Sprache
der Kognitionspsychologie heißt das: Wir formen auf der Basis früherer Erfahrungen ein Schema oder ein assoziatives Netzwerk
von Basketballspielern und Bankmanagern, wir machen uns ein allgemeines Konzept davon, »wie die sind«. Diese Schemata sind
unterfüttert mit bestimmten auffälligen Eigenschaften wie »Ist sehr groß« oder »Trägt Anzug und Krawatte«. Wenn solche Exemplare
im System bereits vorhanden sind, dann wird die Aufmerksamkeit auf diejenigen gelenkt, auf die solche Beschreibungen passen.
Sie werden näherer Betrachtung unterzogen. Aber manchmal fallen dadurch, wie wir gerade gesehen haben, die wahren Übeltäter
durch das Raster.
Ohne ein solches heuristisches Vorgehen kämen wir allerdings im Alltagsleben kaum zurecht. Es ist unser kortikales Äquivalent
zu den im zweiten Kapitel besprochenen Verhaltensweisen im Tierreich: automatisch ablaufende Verhaltensmuster, die durch Schlüsselreize
ausgelöst werden. Die Heuristik eröffnet im Gehirn quasi unterirdische Wege, auf denen wir auch mitten in der Rushhour nur
so durch die Stadt sausen können. Aber diese unterirdischen Wege sind gefährlich. Denn Betrüger wie Keith Barrett kennen sie
wie ihre Westentasche. Die Wege sind schnell, aber auch dunkel und überzogen mit psychologischem Blitzeis. Unfälle sind, wie
wir gesehen haben, an der Tagesordnung.
Aus der Perspektive der Evolutionsgeschichte können wir diese Wege allerdings nicht vermeiden. Wenn man mal die neuen Selfservice-Check-in-Schalter
am Flughafen in Heathrow beiseitelässt, dann ist das menschliche Gehirn die komplizierteste Maschine, die wir je zu Gesicht
bekommen. Dennoch können wir es nicht verhindern, manchmal die Angeschmierten zu sein. Komischerweise hat der Wahnsinn sogar
Methode. So großartig unser Gehirn auch sein mag, wir können einfach nicht alles, was uns täglich so widerfährt, dem Wahrheitscheck
unterziehen. Dafür ist das Leben im wahrsten Sinn des Wortes zu kurz. Wie ein Arzt bei der Diagnose einer Krankheit oder
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