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Gehoere ich halt nicht dazu

Gehoere ich halt nicht dazu

Titel: Gehoere ich halt nicht dazu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Angerer , Miriam Koch
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paar mutige Bu r schen Richtung Himmel fliegen und den Kometen zerstören , und auf der Erde geht währenddessen das Leben normal se i ne Bahnen. Ich denke, wenn jeder weiß, dass das Ende in drei Tagen für alle da sein wird, herrscht Chaos. Sogar in Asien. J e den Tag mehr. Weil kaum jemand mehr arbeitet. Warum soll eine Supermarkt-Mitarbeiterin dann noch hinter der Wursttheke stehen, wenn sie das Geld nicht mehr braucht? Waru m sollte jemand noch für irgend etwas bezahlen? Schulden werden nicht mehr eingetrieben. Verbrechen werden nicht mehr gesühnt. Unsere Welt ist so eng verzahnt, dass nichts mehr funktioniert, wenn ni e mand mehr an das Geld glaubt. Warum soll man sich nicht einfach nehmen, was man möchte? Und wenn sich alle nehmen, was sie wollen, wenn Polizei und Gerichte und Politiker keine Macht mehr haben, gilt nichts mehr. Viele werden beten, in Kirchen gehen, um Vergebung flehen. Aber noch mehr werden das tun, was sie schon immer tun wollten. Mit einer Straßenwalze über Me n schen fahren. Anzünden, was ihnen nicht gefällt. Plündern. Vergewaltigen. Meine Hauptfigur wäre ein Mädchen gew e sen, vielleicht sogar vom Typ her ähnlich wie Jolanda, die in dem ganzen Chaos, das in der Stadt herrscht, freiwillig im Krankenhaus ihren Dienst anbietet und nett mit kleinen Kindern spielt. So als würde es auch nach dem letzten Tag ein Morgen geben. Und meine Heldin würde in der Nacht vom Dach des Spitals aus Richtung Himmel schauen und aus der Ferne den Kometen schön finden. Weil es immer auf die Perspektive ankommt, was schön und was furchtbar ist. Ich gla u be, das wäre eine rührende Geschichte. Vielleicht spielt man am Schluss R.E.M. „It's the end of the world as we know it. And I feel fine.“ Ideal für so einen Film im Abspann.
    Mein Film hat noch keinen Soundtrack. Und er rührt auch nicht: Denn wenn nur ein einziger von acht Milliarden Menschen von seinem Ende in ein paar Tagen weiß und allen a n deren passiert nichts, dann geht das Leben auf der Erde bis zum Schluss normal weiter, kein Chaos, nichts, alle Tage Al l tag. Und aus meiner Perspektive ist das furchtbar. Lauter Ignorantenärsche rund um mich. Und vor mir fährt ein blauer Golf mit einem Jesus-Fisch-Aufkleber , und ich komm nicht daran vorbei.
    Im Wartezimmer beim Arzt ist die Luft stickig, die Möbel sind abgenutzt, knapp zehn Personen sitzen da und wa r ten. Ein paar blättern Zeitschriften durch. Ich schiele auf die bunten Blätter, ob sie zufällig eine Geschichte über meinen Vater haben. Ein junger Mann spielt mit seinem Handy. Theoretisch könnte das pitpuff69 sein. Aber irgendwie könnte jeder pitpuff69 sein. Die blonde Sprechstundenhi l fe. Der Arzt selbst. Ein polnischer Pfarrer. Nur ich nicht.
    Seltsam. Jetzt sitze ich hier beim Arzt und warte darauf , Schlaftabletten zu erhalten. Ich bin in einem Wartezimmer und ganz gelassen. Gar nicht aufgelöst. Gar nicht durcheina n der. Früher hatte ich bei praktisch jedem Arztbesuch Angst, der Arzt könnte mir eine todbringende Krankheit diagnostizi e ren. Wobei ich grundsätzlich sicher war, eine solche todbri n gende Krankheit bereits in mir zu haben. Aber erst die ärztliche Diagnose hätte sie legitimiert. Es war ähnlich wie Pornos vor der Mutter zu verst e cken. Das Böse war immer da, wurde aber erst dann zum Leben erweckt, sobald es von einer Autor i tät entdeckt wurde. Bei den Pornos wie bei den tödlichen Krankheiten war immer die Hoffnung auf Entdeckung da, weil dies meinen inneren Druck gelindert hätte. Ni e mand außer mir hat je meine Pornos entdeckt. Niemand außer mir hat je meine Krankheiten entdeckt. Folglich war immer der Druck da.
    Aber jetzt sitze ich erstmals ohne Angst beim Arzt. D a durch fehlt mir was. Ich muss rasch die Angst ersetzen. Und dafür habe ich zwei Möglichkeiten, wenn ich es p a thetisch will: Liebe oder Tod. Ich muss mich wieder mal entscheiden. Schon ist wenigstens der vertraute Druck zurückgekehrt.
    Liebe oder Tod. Beides hat Vor- und Nachteile. Liebe ist grundsätzlich schon was Feines. Es hebt die Stimmung. Wie Alkohol. Es lenkt die Aufmerksamkeit wohltuend nach außen. Wer behauptet, Liebe mache blind (und viele Songs etwa tun das), der ist ein Lügner oder einer , der Liebe nicht verspürt und/oder nicht verstanden hat. Liebe macht sehend. Und zwar weich und klar. Es macht ein Licht vor dem Auge wie ein Abend am Meer auf einer griechischen Insel. Liebe macht schwer, aber nicht m ü de. Sie erdet, ohne einen hinunter zu ziehen.

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