Gehoere ich halt nicht dazu
lange mit einem Gast reden. Meine Chefin ist da streng.“ Sie macht eine Pause. „Ich werde jede n falls nicht zu Ihnen kommen, wenn Sie das vielleicht wollten. Ich kenne Sie ja kaum.“
„Wir treffen uns am Zentralfriedhof“, sage ich bestimmt. „Zweites Tor. In drei Stunden.“
Jolanda scheint nachzudenken, denn am Telefon ist für einen zu langen Moment kein Ton zu hören.
„Das geht sich aus. Ich werde dort sein“, sagt Jolanda.
„Gut“, antworte ich und lege auf. Ich bin erschüttert, verwirrt, aufgeregt. Ich habe ein D a te. Ich singe diesen Satz sogar. Ich überlege, ob ich mir die Haare waschen soll. Ich mach es nicht, in der Früh haben ihr die fettigen Haare auch gefallen , und ich will mich nicht von me i ner Sonnenseite zeigen. Weil ich die ohnehin nicht habe. Sie soll nur wissen, woran sie an mir ist, die Jolanda. Fast bin ich wütend auf sie, weil sie mir nahekommen mag. Aber gespannt bin ich auch. Um die Zeit zu überbrücken, fa h re ich mit meinem Auto durch die Stadt, laute Musik, keine Gedanken.
Ich erkenne die Frigo-Serviererin bereits aus der Ferne. Ihre Schritte wirken unsicher , aber zielgeric h tet, als sie sich dem Friedhofstor nähert. Sie hat eine Kerze in der Hand und wirkt dadurch ein wenig wie ein Mädchen, das zur Firmung schre i tet.
„Hallo“, sagt sie, ohne mir die Hand zu reichen. Sie hat schwarze Turnschuhe an, schwarze Jeans und eine helle We s te. Es sind keine Markenturnschuhe, die Jeans wirkt auch No-Name.
„Haben Sie eigentlich auch Angst vor Würmern?“, frage ich und komme mir im selben Moment gleich wie ein Vollidiot vor. Hallo wäre vermutlich eine nettere Begr ü ßung gewesen. Aber mich beschäftigt ihre Angst vor den Schlangen mehr als mir lieb ist.
Jolanda sieht mich mit ernstem Gesicht an. „Nein, Wü r mer sind mir egal. Außer sie sind einen Meter groß. Aber solange ich sie nicht sehe und sie in der Erde sind, sind sie mir egal. Ist ihr Großvater hier auf dem Friedhof?“, fragt das junge Mä d chen, das mir jetzt sonderbar bleich und doch irgendwie auch hübsch vorkommt.
„Nein“, antworte ich. „Er ist seit 1944 in polnischer Erde b e graben. Für ihn war der Krieg früher aus.“
„Haben Sie jemals sein Grab besucht?“, fragt Jolanda.
„Ich habe es gesucht und nicht gefunden. Wahrscheinlich existiert es nicht mehr. Aber ich habe i m merhin den Friedhof gefunden“, antworte ich.
„Ist der Friedhof in Polen so schön wie unser Zentralfrie d hof?“
Wieso sagt sie unser? Das verwirrt mich auch. „Schöner“, antworte ich. „Die Gräber sind nicht in strengen Formationen angeordnet wie hier. Die Grabsteine schauen nicht einmal in dieselbe Ric h tung. Somit können sich die Toten untereinander besser sehen. Außerdem ist der Friedhof nicht eben, so n dern hügelig. Wie das Leben. Insgesamt ist der Friedhof in Polen lebensechter. Und das ist im Tod nicht gerade unwesentlich. Die Blumen auf dem Friedhof sind dort übrigens aus Pla s tik. Das sieht bunt aus und passt gut. Warum sollten unter all den Toten denn Blumen leben?“
Jolanda widerspricht mir nicht. Eine Gruppe Deutscher grölt hinter uns: „Es lebe der Zentralfriedhof.“
„Erzählen Sie mir von ihrem Großvater, bitte“, sagt sie, während wir über die Friedhofswege wandern. Ich würde gerne ihre Kerze wegschmeißen. Mir ist alles ein w e nig peinlich. Als wir bei einem Grab von einem kleinen Kind vorbeikommen, deute ich ihr, dass sie sie dort hi n legen soll. Sie macht es und lächelt eigenartig. „Wie war das mit ihrem Großvater“, sagt sie noch einmal und nimmt meine Hand. Frauen sind irgendwie simpel. B e stimmt mag sie die Musik von R.E.M. Mir ist die Berührung zwar unangenehm, aber ich halte sie aus, gehe we i ter, rede weiter.
„Mein Großvater sah aus wie Charly Chaplin. Es gibt vi e le Bilder von ihm. Auf allen sieht er wie Charly Chaplin aus, und auf allen sieht er traurig aus. Er hat die Uniform, sein Gewehr und den Krieg bestimmt gehasst, aber akzeptiert. Er hat meiner Großmutter beinahe jeden Tag eine n Brief geschri e ben. Insgesamt h underte. Wie sehr er sie vermisst, wie gerne er bei ihr wäre. Er muss den anderen im Schützengraben irrsinnig auf die Nerven g e gangen sein. Ich stell mir das so vor, dass alle in Action waren und verteidigten oder angriffen. Schrien, fluchten und bluteten. Nur Charly Chaplin saß in einer Ecke, sah traurig ins Nichts und schrieb seine Briefe. Meine Gro ß mutter hat es ihm mit ewiger Liebe und Treue gedankt.
Weitere Kostenlose Bücher