Gehoere ich halt nicht dazu
Österreich die b e liebteste ist. Man müsste eigentlich nur drei Autos nebeneinander auf Parkplätzen in der Provinz abstellen. Eines der Fahrzeuge mit dem Jesus-Fisch. Ein anderes mit David-Stern. Und ein drittes mit i r gendwas islamischen. Vielleicht einem Kopftuch-Pickerl, wenn es das gibt. Alle müssten Wiener Kennzeichen haben. Und dann müsste man nur noch ein paar Tage warten und scha u en, welches Auto am meisten zerkratzt wird. Ich fahr mit e i nem kleinen Umweg nach Hause.
In meiner Wohnung schreibe ich an meinem Blog weiter, dann schau ich, was die anderen so schreiben. Die Mu t ter mit den vielen Kindern berichtet davon, dass einer ihrer Buben sich einen Finger gebrochen hat. Ich glaub e nicht, dass ich so ein Leben wie sie leben würde wollen . Bei den Patc h work-Decken geht nichts weiter. Eine andere Bloggerin erzählt von ihrem Brasilien-Aufenthalt. Natü r lich , Brasilien ist super. Aber dort studieren, noch einmal 20 sein, ein bisschen optimistisch, ein bis s chen unsicher, nein, das wäre auch nichts für mich. Zitronenhuhn wird als die Koch-Idee des Tages präsentiert, die meisten Klicks auf Youtube hat im Moment ein Kind, das ve r rückt gut Schlagzeug spielt. Auf den Homepages der Zeitungen finden sich keine interessanten Artikel, meine Mailbox ist leer.
Die Zeit ist wie Honig. Süß für die einen, zäh für die a n deren, denke ich. Ich will wissen, ob ich diesen halb-philosophischen Gedanken als erster habe und suche danach im Internet. Ich finde kein Erge b nis. Ich suche nach Jolanda. Aber da ich nur ihren Vornamen weiß und ihren Arbeitsplatz, finde ich nichts. Dafür stoße ich zufä l lig auf eine Buchkritik. Ein Engländer hat eine Geschichte geschrieben, von einem, der sich in sieben Tagen umbringen will und bis dahin Amok läuft, um Böses zu r ä chen (und am Schluss doch irgendwas Gutes tut). Mir wird schlecht. Immer, wenn ich das Gefühl habe, zumindest i r gendwas Außergewöhnliches zu tun, hat es ein anderer schon vor mir gemacht. Na gut, das ist nur ein Buch, nicht echt, de n k e ich. Außerdem laufe ich nicht Amok, das ist mir zu billig (und mir fehlt dazu der Mut). Aber dennoch ist meine Idee jetzt viel weniger wert, finde ich. Schon wieder bin ich nicht einzi g artig. Ich überlege, was ich tun könnte. Heute schon Schluss machen? Acht statt sieben Tage nach dem Entschluss zu l e ben? Was ist in so einem Fall nicht banal? Mein Kopf tut mir wirklich weh. Soll ich leben bis es das nächste Mal regnet? Oder so lange, bis ich Jolanda endlich gefickt habe? Bis Frigo wieder Messer im Angebot hat? Bis Österreich Fußballwel t meister ist? Oder einfach beim alten Plan bleiben?
„Unverhofft kommt oft“, schreibt pitpuff69. Er hat heute ein Foto einer süßen blonden Baywatch-Nixe im roten Badeanzug in seinem Profil.
„Wann ist ein guter Zeitpunkt zu sterben?“, schreibe ich.
„Nach dem letzten Abendmahl.“
Ich antworte nicht mehr, hab keine Lust, auch wenn mir pitpuff69 noch ein paar Mal Aufforderungen zum Schreiben schickt.
„Bevor du stirbst, solltest du folgende Nummer wählen“, schreibt pitpuff69 ein bisschen später und schickt ein paar Zahlen. Ich speichere mir die Nummer unter pitpuff69 im Handy ein und hoffe, dass es nicht die Nummer der Telefo n seelsorge ist.
Meine Mutter wollte auch oft sterben. Aber sie hatte zu w e nig Mut. Komisch, dass im Wort Mutter das Wort Mut steckt. Bei meiner Mutter passt das nicht zusammen. Auf jeden Fall, je älter ich wurde, desto weniger wollte sie leben. Dafür wurde sie verwirrt. Ich hielt das für normal. Sie war immer schon ein wenig anders, komisch. Mit Müttern aus dem Fernsehen, von Mitschülern war sie sowieso nicht zu vergleichen. Aber wir waren auch keine Familie wie die anderen. Sie ist oft am offenen Fenster gestanden und doch nie gesprungen. Vie l leicht, weil sie immer noch auf ein neues Sonderangebot gewartet hat. Danke Frigo. Ich habe mir keine großen So r gen um sie gemacht. Das war naiv.
Dummerweise ist sie vor zwei Jahren mit einem großen Me s ser von Frigo völlig verwirrt durch Wien spaziert. Und als sie ein Passant etwas Harmloses gefragt hat, hat sie ihn erst o chen. Blutverschmiert und seelenruhig wol l te sie dann auf die andere Straßenseite wechseln, hat ein Auto übersehen und wurde überfahren. Seither lebt sie nicht mehr daheim. Und wenn man sie besucht, was ein äußerst deprimierender Vo r gang ist, sieht man auch nur mehr ihre demolierte Hülle. Nicht nur tote Körper sind Verpackung.
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