Gehoere ich halt nicht dazu
dann doch zu fad. Meine Mutter und ich werden müde. Morden macht müde. Ein Selbstmord ist hoffentlich nicht so anstrengend wie ein Fremdmord. Ich beende das Spiel und erlöse meine Mutter von den Taten und mich vom Denken und schlafe ein. In me i nem Kopf singt der Torso von A g netha „She´s the one“. Und ich vermisse ihr blondes Haar so sehr. Does your mother know?
Noch vier Tage, Freitag
Ich wache auf und denke an Jolanda. Nicht an Rückenschme r zen, nicht an Morgentoilette, nicht an Mundg e ruch, nicht an Psoriasis, nicht an Arschlöcher, nicht an Selbstmord, nicht an Frühstück. Ich denke an Jolanda. Mir scheint, dass ich mich so richtig freue. Ich freue mich nicht, sondern mir scheint es bloß, dass ich mich freue. Weil mir das Gefühl der Freude bereits ein wenig fremd ist. Zumindest aber verdächtig e r scheint. Das Gefühl der Verliebtheit wage ich gedanklich nicht zu streifen. So kurz vor dem eigenen Tod. Weshalb sollte ich da noch intensive Gefühle verspüren? Dass mir der selbst g e wählte Abschied am Ende noch leid tut? Sicher nicht. Nicht mit mir. Pah.
Es gibt aber immerhin doch ein paar Gefühle, die mich selbst in Erwartung meines baldigen Todes weiterhin beschäftigen. Angst und Nervosität zum Beispiel. Auch jetzt – kurz vor der Begegnung mit Jolanda und ihrem Jungen. Wird Florian mich mögen? Oh Gott. Was mache ich mir für Sorgen? Es ist mir doch völlig egal , was ein Kind von mir denkt. Scheißbalg. Ja, Florian ist sicher ein hässliches, dummes, nervendes Kind.
Ein Therapeut hat gemeint, ich mag keine Kinder, weil ich selbst so wenig Kind gewesen sei . Meine Mutter ha t te mich am liebsten vor dem Fernseher, wenn ich still war und wenn wir beide auf der Couch lagen. Ich hatte viel Spielzeug, aber niemanden, der mit mir spielte oder mir zeigte, wie das Spielzeug funktionierte. Ich sang gern . A ber immer, wenn ich me i ne Lieder hörte oder sang, schloss meine Mutter die Tür zu me i nem Zimmer. Mein Opa, der ja eigentlich nur der Stief -O pa war, hat mir immer viel erzählt, von Fällen, die er im Gericht ha t te. Das war immer recht interessant. Meine Oma wollte, dass ich die Haare wasche. Und die Hände. Dann hat sie mir die Fotos vom echten Opa gezeigt und die Briefe vo r gelesen. Oft hat sie dabei geweint.
Schon mit sieben Jahren habe ich meine erste Therapie bekommen, bezahlt vom Stief-Opi, hingebracht hat mich meistens Oma, erstens damit Haare und Hände gew a schen waren und zweitens weil meine Mutter lieber die Prospekte studiert hat als sich um mich zu kümmern. Ich kann mich an nicht mehr viel erinnern, außer, dass die Sessel grün waren und der Therapeut dick war. Und dass ich das Gefühl hatte, ihn int e ressiert vor allem das Geld.
Jolanda ist vermutlich eine bessere Mutter.
Um die Zeit zu vertreiben, surfe ich im Internet. Das neueste aus der Familie mit den drei Kindern: Der Gips am Finger ist kein Problem, gemeinsam haben sie einen Spiel e abend ve r anstaltet. Morgen werden sie Blumensamen einsetzen im Ga r ten der Oma. Zu essen gibt es heute Scheiterhaufen mit Vanillesauce, davor Gemüs e suppe. Bio, nehme ich an. Oh, wie fad.
In Schönbrunn kam ein neues Tierbaby auf die Welt.
Fliegen wird teurer. Bei Maklern sind die Preisunte r schiede enorm.
Ich versuche eine Idee zu finden, aber es kommt nichts. Ich denk e an Jolanda, checke am Handy, ob sie das Treffen abg e sagt hat, überlege, ob ich abspringen soll, surfe auf der Homepage des Haus des Meere s und endlich, endlich ist Nach mittag.
Um drei stehen wir uns gegenüber. Ich und Florian. Ein j e weils kurzer, gegenseitiger Blick genügt. Er mag mich nicht. Ich mag ihn nicht. So un kompliziert ist das mit Jolanda s Jungen und mir. Florian spürt, dass ich nicht so bin, wie ich mich gebe. Und das ärgert mich. Ich gebe Jolanda ein Bussi auf die Wange. Florian schaut argwöhnisch zu und drückt sich noch fester an seine Mama. Ich hasse ihn dafür und hasse mich, weil ich auf die Idee komme, ein kleines Kind zu hassen. Ich möchte ihm irgendwie wehtun. Nein. Besser mir wehtun. Aber jede n falls wehtun. Schmerz will ich.
„In the still of the night“ steht am Flakturm, in dem sich das Haus des Meeres befindet, geschrieben. Ich kann die Schrift von meiner Terrasse aus sehen. „In the still of the night“ heißt auch ein Song von Whitesnake. Von Led Zeppelin geklaut. Aber irgendwie trotzdem gut.
Es gibt keine weiße Schlange im Haus des Meeres. Es gibt überhaupt keine weiße Schlange. Es
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