Gehoere ich halt nicht dazu
gleich zu We i nen beginnt. Aber sie sagt nichts. Ich schaue sie an. Sie schaut mich an. Ich will „Sorry“ sagen. Ich mag sie. Aber sie wird mich nie verstehen. Ich schaue sie an. „Es tut mir leid“, sage ich. Sie küsst Frederick auf den Mund. Da sage ich nichts mehr.
Ich besitze ein fotografisch und filmisch orientiertes Gedäch t nis. Ich merke mir folglich kaum Namen. Aber ich merke mir sehr gut Menschen und Landschaften. Ich liebe es mit Google Earth über Lan d schaften zu fliegen, in denen ich mich bereits aufgehalten habe. Während solcher Reisen fallen mir all die Erlebnisse ein, die für mich mit diesen Landschaften verbu n den sind.
Ich würde mich jetzt so gerne an das Gesicht und den Körper der Pflegerin im Krankenhaus erinnern, der ich den Satz über das Komasaufen gesagt habe. Sie muss pitpuff69 sein. Ich schaffe es nicht ein Bild zu finden. Da ist nichts in meinem Kopf. Ich stecke verschiedene Haarfarben, Nasen, Augen, Ohren, Münder, Brüste und Beine in das weiße Krankenschwesternteil, wie diese Karto n puppen mit Kleidern zum Ausschneiden und Anziehen, die es früher in Burda gab, aber es kommt zu keinem Aha-Effekt. Ich habe keine Ahnung, wie der Mensch aussieht, zu dem ich mich jetzt plötzlich derm a ßen hingez o gen fühle.
„Wie heißt du?“ tippe ich in mein Handy und schicke die SMS an die Nummer von pitpuff69.
Ich lasse Jolanda und Frederick grußlos stehen und gehe zu Starbucks. Dort fühle ich mich anonym genug um auf eine Antwort von pitpuff69 zu warten. Ich blättere in einer Zeitung und lese von einem neuen Film, wo sich der Hauptdarsteller umbringen will, weil er den Tod geliebter Menschen mitverschuldet hat. Ich werde diesen Film wohl nicht mehr sehen. Klingt aber auch nicht gerade so n derlich spannend. Selbstmord auf Grund von Schuldgefühlen. Wie einfallslos. Wie widerlich kleingei s tig. Pah.
Ich schaue von der Zeitung auf und auf das Display me i nes Handys hinab. Keine SMS von pitpuff69, aber dafür ein G e danke aus meinem Gehirn:
pitpuff69 ist nicht etwa die Krankenschwester, sondern pitpuff69 ist eine andere Person aus dem Haus, in dem mein Magen kürzlich ausgepumpt wurde. Eine Person, die nur v o rübergehend dort ist. Pitpuff69 ist ein Mensch, der mich besser kennt als jeder andere Mensch auf di e ser Welt. Erst recht als ich selbst.
P itpuff69 ist meine Mutter.
Dieser Gedanke macht mich schwach. Ich weiß, es ist ein Blödsinn. Ich weiß, meine Mutter liegt im Koma. Ich kenne sie. Sie könnte mit einem Handy höchstens telefonieren, wenn sie jede Ziffer einzeln eintippt, aber niemals SMS schreiben. Ich weiß, sie könnte den Computer wahrscheinlich nicht ei n mal einschalten, geschweige denn chatten. Aber dennoch habe ich plötzlich das Gefühl, dass pitpuff69 meine Mutter ist. Sein könnte. Ich ärgere mich darüber. Wenn ich einmal an eine ein bisschen interessante Frau denke, dann fällt mir meine Mu t ter als Überfrau ein. Ich bin echt gestraft. Warum hat sie mich nicht erstochen als sie verwirrt durch Wien geirrt ist? Ich wäre ihr nicht böse gewesen. Und die Menschheit erst recht nicht. Niemand hätte den Verlust b e merkt.
Mein Handy läutet. Leider ist es nicht pitpuff69, sondern J o landa. Ich weiß nicht, ob ich das Gespräch annehmen soll oder nicht, selbst so eine kleine Frage ist für mich ein großes Problem. Ich denke hin und her, das Handy läutet laut, ich habe das Gefühl, die Starbucks-Coolheit mit meinem altmod i schen Klingelton zu stören, daher hebe ich ab.
„Ja“, sage ich.
„Hier ist Jolanda, wo bist du?“
„In einem Kaffeehaus.“
„Die Suppe ist fertig.“
„Schön“, sage ich.
„Komm doch“, sagt sie.
Ich sage nichts.
„Es tut mir leid, dass ich Frederick geküsst habe. Das kam so über mich. Ich war übermütig. Ich liebe ihn nicht.“
„Frederick ist mir scheiß egal“, sage ich.
„Dann komm doch. Florian vermisst dich schon.“
Ich hasse es, wenn Kinder vorgeschoben werden.
„Es geht nicht, ich muss noch was erledigen“, sage ich.
„Hey, Lieber du“, sagt Jolanda und ich hab das Gefühl der warme Kaffee strömt direkt in mein Herz.
„Danke“, sage ich.
„Melde dich bitte“, sagt Jolanda.
„Ich werde es versuchen“, lüge ich.
Ein vielleicht zwölfjähriges Mädchen kommt an meinen Tisch.
„Kannst du mir drei Euro schenken ? “, fragt sie. „Ich mag noch einen Kaffee und der ist so teurer hier.“
„Nur wenn du mir eine Frage beantwortest“, antworte ich.
„Welche ? “,
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