Gehoere ich halt nicht dazu
Kunstwerk in einer Ausste l lung an. Sie wirkt allerdings überhaupt nicht wie ein Kuns t werk. Sie ist so glatt wie ein Bravo-Starschnitt-Poster aus den 80-er Jahren. Ihr langes, billig blondiertes Haar, ihre vollen Lippen, die ausschließlich zum Küssen gemacht scheinen, ihre naiv und vertrauend in die Welt strahlenden Augen, ihre Brüste, die aus einem US-Porno sta m men könnten und ihre langen, enthaarten Beine ebenso. Dazu noch Allerweltsjeans, offensichtlich billige Schuhe und das weiße Pilotenhemd von H&M. Nein. Angelika ist kein Kunstwerk. Definitiv nicht. Sie ist ein Durchschnittstyp unter den hübscheren Menschen di e ser Welt. Kein bisschen mehr. Wie langweilig.
Ich beginne ihr Aussehen und ihre Wirkung sofort mit mir zu vergleichen. Ich bin zwar deutlich fetter, habe kürzere Beine, schütteres Haar, ein würdiges Doppe l kinn, ein paar Pickel, nur wenige davon eitrig und eine Fieberblase auf der Oberlippe. Aber dafür bin ich kein Durchschnittstyp. Ich bin kein Allerweltsmensch. Ich bin was Besonderes. Auch ohne besondere Kleidung. Und ich habe was Beso n deres vor. Ich setze nämlich morgen meinem Leben selbst ein Ende. Ja. Ich warte nicht bloß wie die meisten anderen, dass mich eine siechende Krankheit erfasst oder irgendein Cabrio. Ich tue es selbst. Stark, mutig, vorausschauend, entschlossen und männlich. Niemand gibt mir den Zeitpunkt meines Todes vor außer ich mir selbst. Und schon morgen ist es s o weit. Und das erfüllt mich mit Stolz. Ich fühle mich plötzlich so groß wie Alexander der Große und sein Pferd zusammen. Und in meinem He r zen lodert das olympische Feuer. Unauslöschbar. Ich bin ein Held und ein Genie. Der König der Welt. Und trotzdem so umgänglich und selbstlos, dass ich hier mit ganz normalen Durchschnittsmenschen herumstehe und mir nicht anmerken la s sen wie sehr mich diese armen Kreaturen langweilen.
Das blonde Ding vor mir scheint immer kleiner, unwic h tiger, lächerlicher und vor allem blonder zu werden. A n gelika. Der Name passt haargenau. Angie. AAAAnnngiiieee. When will those clouds all disappear? Blondes Haar. Genau. Trivialer geht’s kaum mehr. Soll ich dich ficken, du billige Schla m pe? Naja. Ich rauche erst mal eine Zigarette, dann schauen wir mal.
„Du bist Putzfrau im Krankenhaus und hast gerade im Gang gearbeitet und uns zugehört“, sage ich mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen. Die Oberlippe geht bei diesem L ä cheln auf der linken Seite um eine Nuance höher rauf als auf der rechten Seite. Ich finde, das sieht sehr sexy und überl e gen aus.
„Erwischt.“ Angelika lächelt. „Ich war auf dem Gang und habe euer Gespräch gehört. Richtig. Ich habe nur nicht geputzt, sondern war auf Visite. Aber das macht nicht so viel Unte r schied. Was machst du eigentlich beruflich?“
„Ähm, ich bin freiberuflich“, sage ich.
„Ist schon komisch, wenn man einen Menschen trifft , den man virtuell schon kennen gelernt hat“, sagt Angel i ka.
„Ja“, bestätige ich.
„Prost“, sagt Angelika und kippt ihren Mojito hinunter. Ich nippe nur vorsichtig. Immerhin hatte ich gestern eine Alk o holvergiftung. Jetzt mit einer Ärztin um die Wette saufen, kommt mir unpassend vor. Ich schaue mir die Flaschensam m lung hinter der Theke an, denke wenig, sage nichts.
„Im Netz bist du gesprächiger“, sagt Angelika und b e stellt sich einen zweiten Mojito.
„Mir fällt nichts ein, worüber wir reden sollten“, sage ich. Wir schweigen. Angelika trinkt. Ich bestelle mir ein Glas Wasser, irgendwie ist mir nicht nach einem Coc k tail.
„Ich bin Ärztin und habe viel mit Menschen wie dir zu tun. Du bist mit ziemlicher Sicherheit einer von jenen, die häufig mit dem Gedanken spielen sich umzubri n gen“, sagt Angelika. „Du fühlst dich wohl wie ein kleiner tragischer Held oder so. Ein kleiner „Werther.“ Du weißt schon, Goethe. Aber dein Leben ist nicht große Literatur. Dein Leiden ist ganz gewöhnlich. Viele haben das. Das ist absolut nichts Besonderes. Es gibt ein paar recht brauchbare Medikamente dagegen. Viele nehmen die. Und machen einfach weiter.“
Ich will gehen. Online ist mir pitpuff69 sympathischer. Im echten Leben ist sie mir zu direkt. Was maßt sich di e se Frau eigentlich an? Ich nehme meinen Mantel.
„Bleib“, befiehlt die Blondine.
Etwas in mir will brav sein. Immer brav sein, immer nur brav sein. Ich denke an Sex. Ihre Bluse ist dünn. Nehme noch einen Schluck vom Alkohol. Schaue auf die Uhr. Denke an Jolanda.
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