Gehoere ich halt nicht dazu
An wen er gehen soll. Ich denke, der eigentliche Empfänger ist wohl der Absender selbst. Auch wenn der Brief formal an Mama oder Papa oder einen Freund g e richtet ist.
Schade, dass nie darüber zu lesen ist, wie viele Menschen, die Abschiedsbriefe geschrieben haben, sich dann auch wirklich das Leben genommen haben. Oder wie viel Prozent der Selbstmörder (was für ein hässliches, brutales, ungerechtes Wort) überhaupt einen Abschiedsbrief geschri e ben haben.
Aber warum, liebes Leben, sind wir eigentlich wirklich nie Freunde geworden? Was hätte passieren müssen, dass ich deine Freundschaftsanfrage guten Gewissens bestätigen hätte kö n nen?
Ich hatte nie ein Bild von dir. Das hat vielleicht eine Rolle gespielt. Du bist für mich i m mer gesichtslos geblieben. Und was ich nicht sehe, das kann ich nicht spüren. Und was ich nicht spüre, das kann ich nicht leben. Ich kann das Leben nicht leben. And e re können das vielleicht. Ich kann das nicht. Ich kann auch nicht Oboe spi e len. Du hast mir nichts erzählt über dich. Du bist immer blöd herum gesessen und hast darauf gewa r tet, dass ich was tu mit dir. Hättest du mich nicht einfach mal bei der Hand nehmen können? Hättest du mir nicht ein bis s chen was von dir zeigen können? Wie hätten wir also je zu samme n kommen sollen, wenn du nicht mal bereit warst einen kleinen Schritt zu mir zu m a chen?
Alles war mir nicht egal. Die Sonne mochte ich immer gerne. Und das Meer. Das stimmt. Aber das bist nicht du. Im Meer ist nicht nur Leben. Im Meer ist auch der Tod. So weit und so tief und so unbekannt. Und dadurch viel int e ressanter als du. Der Tod ist FM4. Du bist nur Ö3.
Warum bin ich überhaupt auf der Welt? Weil mein Vater g e rade besoffen und geil war, als ihm meine Mutter über den Weg lief. Und weil der weiße Mercedes abwaschbare Ledersi t ze hatte und geräumig war. Eine gute Basis ist das. So gesehen ist das alles recht sti m mig. Mit der Welt und mir. Was hätte das denn sonst werden sollen? Sollte ich so ein lieber Affe wie Frederick we r den?
Ich wette, Frederick war ein Kind der Li e be. Seine Eltern haben sich geliebt und wollten als Krönung ihrer Liebe ein gemeinsames Baby. Immer wieder haben sie es pr o biert. Nicht im Auto. In Liebe. Im ehelichen Kirschnussbett. Auf frischen Laken. Nach dem Produktionsve r kehr haben sie geduscht und noch ein bisschen gelesen im Bett. Dann haben sie einander Gute Nacht gesagt. Und die Frederick-Mama im Nachthemd hat zum Frederick-Papa im P y jama „Ich hab dich lieb“ gesagt. Und er hat „Ich dich auch“ gesagt. Und er hat es wirklich so g e meint.
Und dann war es endlich mal soweit. Der kleine Fred e rick-Fratz kommt schreiend und mit rotem Kopf auf die Welt. Und sie lieben ihn. Von der ersten Minute an li e ben sie ihn.
Meine Mutter hatte schreckliche Schmerzen. Immer dann, wenn sie mich stillen musste. Das hat sie mir g e sagt. Ich kleine Ratte hätte mich ganz gierig auf ihre Brust gestürzt. Sie hat das so sehr gehasst, hat sie g e sagt. Wer ist „das“? Bin ich „das“? Mein Vater war nicht da. Der hätte wah r scheinlich auch irgendwas gehasst an mir. Nein. Hätte er ja gar nicht gebraucht. Er hat mich ja ohnehin insgesamt gehasst. A l leine dafür, dass ich da war. Er wollte doch nur lustvoll abspritzen. Ein bisschen Spaß und Entspannung. Gekriegt hat er dann gleich e i nen ganzen Balg. Armer Papa. Hätte er doch nicht in die Mama, sondern stattdessen nur auf die schweinsledernen Sitze im Mercedes gespritzt. Das hättest du eher schnell wegwischen la s sen können, Paps. Ein bisschen peinlich vielleicht die Szene. Okay. Aber auch für Mama insgesamt viel weniger Hacke, als eine Schwa n gerschaft. Mit anschließender Titten - belästigung. Irgendwie verstehe ich euch ja, dass ich euch am Arsch gegangen bin. Ve r steht ihr mich jetzt eigentlich auch? Versteht ihr die Konsequenz eures Ha n delns? Aber ihr hört ja gar nicht zu. Und ich gehöre hier nicht dazu. Ich habe nie dazu gehört. Ihr habt mich nicht gewollt. Bald seid ihr mich los. Spät, aber imme r hin.
Wiederschaun.
Ich lese die ersten Zeilen des Briefes, lege den Kuge l schreiber beiseite und nehme ein Feuerzeug zur Hand. Das Papier brennt richtig schön. Ich sehe zufrieden zu, wie sich das P a pier langsam aufrollt, schwarzgrau wird und knisternd zu Staub zerfällt. Zu Nichts wird. Ich bin für einen kurzen M o ment ganz ruhig und andächtig. Besser keinen Abschiedsbrief als einen solchen, denk ich mir.
Dass
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