Gehorche mir!
noch dunkel, als Tess am Montagmorgen in die Auffahrt kurvte. Morgennebel lag über dem kleinen See zwischen dem Wald und dem Schloss. Die dunkle Silhouette des Hauptgebäudes hob sich nur dank einiger erleuchteter Fenster vom Nachthimmel ab.
Tess parkte auf dem für sie reservierten Platz, nahm ihre Tasche vom Beifahrersitz und rannte den kurzen Weg zur Hintertür, an der sie schnell den Code in das beleuchtete Zahlenfeld eintippte, um ins Warme zu kommen.
Sie wollte sofort in den Aufenthaltsraum gehen, um sich umzuziehen, aber da kam ihr Candy entgegen. Sie hatte es sichtlich eilig. „Tut mir leid, ich muss weg.“
Normalerweise überschnitten sich die Schichten um eine Viertelstunde.
„Das Baby?“, fragte Tess. Candys Zwillingsschwester erwartete nach zwei Fehlgeburten endlich ein gesundes Baby, und Candy hatte versprochen, bei der Geburt dabei zu sein. Tess wäre es seltsam vorgekommen, ihre Schwester im Kreißsaal zu erleben, aber bei Zwillingen war eben alles ein bisschen anders.
„Die Fruchtblase ist schon geplatzt.“
„Dann nichts wie hin.“ Tess gab Candy einen aufmunternden Klaps auf die Schulter. „Viel Glück.“
Die Hintertür hatte sich kaum geschlossen, als an der Rezeption das Telefon klingelte. Tess stellte ihre Tasche ab und eilte hin. Sie würde sich eben etwas später umziehen.
„Glowcastle. Sie sprechen mit Tess Morgan.“
„Hallo, hier ist Devin Flinkman.“
„Ah, Mr. Flinkman. Guten Morgen.“ Sie warf einen Blick auf den Computermonitor, drückte schnell ein paar Tasten und hatte alle Informationen parat, noch bevor sie den Satz beendet hatte. „Ihre Suite ist vorbereitet.“
„Danke. Ich werde in etwa einer halben Stunde da sein.“
„Wie steht es mit einem Frühstück?“
„Deswegen rufe ich an. Wir bringen einen Bärenhunger mit, darum hätte ich gern Frühstück für zwei mit allem.“
„Wird erledigt. Gute Weiterfahrt.“
Tess gab Flinkmans Bestellung an den Zimmerservice weiter.
Sie warf einen prüfenden Blick auf das menschenleere Foyer, sah die Notizen durch, die Candy ihr hinterlassen hatte, und wollte gerade in den Aufenthaltsraum gehen, als zwei Männer von der Poolwartung aus der Tür zum Wellnessbereich kamen. Einer tippte sich an die Mütze. „Alles erledigt“, sagte er.
Tess unterschrieb den Auftrag, den er ihr auf einem Klemmbrett hinhielt. Die meisten Wartungsarbeiten wurden in den frühen Morgenstunden erledigt, wenn sie den Hotelbetrieb am wenigsten störten.
Tess wartete, bis die beiden das Foyer verlassen hatten, dann wandte sie sich wieder dem Aufenthaltsraum zu, kam aber nur einen Schritt weit.
Jemand schluchzte.
Tess fuhr herum und sah eine junge, blonde Frau, die in einen zu großen, schwarzen Ledermantel gewickelt war, auf zittrigen Beinen die breite, mit rotem Teppich ausgelegte Freitreppe herunterhuschen. Einmal blieb sie kurz stehen, warf einen schnellen Blick zur Galerie hoch und rannte dann weiter.
Die arme Fiona. So etwas hat ja kommen müssen
.
Tess nahm einen tiefen Atemzug und ging Fiona entgegen. „Was ist passiert?“
„Bitte, bringen Sie mich hier weg“, flüsterte sie atemlos. „Schnell, bevor er merkt, dass ich mich aus dem Zimmer geschlichen habe.“
Tess legte ihr einen Arm um die Schultern, die merklich bebten. „Ich bringe Sie in Sicherheit.“
Damit hatte sie das Richtige gesagt, denn beim Wort „Sicherheit“ entspannte Fiona sich ein wenig. Tess sah die Treppe hoch, lauschte kurz, warf einen Blick auf die Stockwerkanzeige des Aufzugs. „Er hat anscheinend noch nichts gemerkt. Keine Sorge, ich kümmere mich um Sie. Ich werde nicht zulassen, dass er Ihnen noch mehr antut.“
Oh, dieser Mistkerl!
Wenn es nach Tess gegangen wäre, hätte man ihn längst aus der Society ausgeschlossen. Wenn sie Fiona dazu bekam, ihn wegen Körperverletzung anzuzeigen – und darum musste es sich handeln – wäre es vielleicht möglich, diesen unliebsamen Gast ein für allemal los zu werden.
Tess öffnete die Tür zum Aufenthaltsraum, brachte Fiona zu einem Sessel und schloss die Tür. Sie reichte der zitternden jungen Frau ein Kleenex, mit dem sie sich die Nase putzte. „Also, was ist passiert?“
„Ich will einfach nur weg.“
„Ich werde Henry wecken, den Leiter des Fahrdienstes. Wo kommen Sie her?“
Fiona nannte einen komplizierten Ortsnamen, den Tess nicht kannte. „Wie weit ist das von hier?“
„Zwei Stunden Fahrzeit.“
Das war gut. Sie hatten Gäste aus der ganzen Welt. Wenn Fiona einen Rückflug
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