Gehorche mir!
Transportmittel wie deines wäre auch ein prima Schlafzimmerersatz.“ Sie sah sich schon auf dem Rücksitz liegen, die Beine gegen das Wagendach gestemmt.
„Was auch immer du gerade denkst, vergiss es. Ich hatte einmal in meinem Leben Sex in einem Auto, und ich habe mir geschworen, es nie wieder zu tun.“
„Was ging schief?“
„Wir waren in der Garage meiner Eltern und fanden es unheimlich aufregend, es im Wagen meines Vaters zu machen. Einer von uns kam dabei an die Hupe. Wir waren derart ineinander verkeilt, dass wir die Stellung nicht schnell genug ändern konnten. Es hupte und hupte. Mein Vater öffnete das Garagentor, um nachzusehen, was los war. Inzwischen hatte sich die halbe Nachbarschaft schaulustig in unserer Auffahrt versammelt, während meine Freundin und ich uns anzuziehen versuchten, was dadurch erschwert wurde, dass meine Mutter mich am Arm aus dem Wagen ziehen und ohrfeigen wollte.“
„Darf ich lachen oder verletze ich damit deine Gefühle?“
„Ich mag es, wenn du lachst. Egal aus welchem Grund.“
Leanne schloss die Augen und lauschte der Musik aus dem Autoradio, ein Popsong mit dröhnendem Beat. „Spielst du ein Musikinstrument?“
„Nein, wieso?“
„Ich versuche nur, Konversation zu machen, um wach zu bleiben.“ Sie gähnte und streckte die Arme nach vorn.
„Von mir aus kannst du gerne schlafen.“ Er schaltete auf einen Sender mit Klassik um.
Sie neigte den Sitz ein Stück nach hinten. „Nur ein halbes Stündchen oder so.“ Sie blinzelte in den Sonnenuntergang, bis sich ihre Lider angenehm schwer anfühlten.
„Sag Bescheid, falls dir kalt wird.“
„M-hm.“ Sie seufzte, wie es Kinder tun, kurz bevor sie einschlafen, aber sie machte es absichtlich, um ihm vorzuspielen, sie wäre bereits weggetreten. Sie wollte mit ihren Gedanken allein sein.
Es gab im Grunde nicht viel, womit sie ihre Fantasien nähren konnte. Nach der ersten Begegnung hatte sie Franklin nur noch zweimal persönlich gesehen, und beide Male war er sich ihrer Gegenwart nicht bewusst gewesen: Einmal, als sie Katie von der Royal Academy abholte, und Franklin gerade die Treppe herunterrauschte – diese sicheren, zielstrebigen Schritte! – das andere Mal, als sie seine Adresse herausgefunden hatte und mit einem Fernglas sein Haus beobachtete. Gott, war das aufregend gewesen! Natürlich hatte sie sich vorgestellt, wie sie ihm „ganz zufällig“ über den Weg lief, sobald er aus dem Haus kam. Wie er mir ihr ins Gespräch kam und sie zu einem Kaffee einlud, weil er fand, dass sie für ihr Alter eine faszinierende Ausstrahlung hatte. Und wie sie dann den Kaffee auf seinem Lieblingsteppich verschüttete und er sie zur Strafe zwang, sich vor ihm nackt auszuziehen.
Später hatte Leanne angefangen, Material über ihn zu sammeln. Ihre Freundinnen, die für Boygroups schwärmten, hatten es entschieden leichter. Ihnen wurden die Jungs von den Mädchenzeitschriften regelrecht nachgeschmissen, in Tausenden von Interviews, Fotosessions und Riesenpostern.
Leanne hingegen musste akribisch die Fachpresse der Musikwelt durchforsten, um Artikel über Franklin Larsson zu finden. Als sie dabei sogar auf ein kleines Schwarz-Weiß-Foto von ihm stieß, konnte sie ihr Glück kaum fassen. Im Laufe der Jahre hatte sie immerhin einen halben Aktenordner füllen können. Einige der Artikel hatten sie ein wenig erschreckt. Zum Beispiel der über den vielversprechenden jungen Tenor, der an Franklins Lehrmethode fast zerbrochen war und später in einem Artikel sagte: „Franklin Larsson ist ein eiskalter Narziss. Er mag ein Gespür für Talent haben, aber er hat keinen Zugang zu dem, was Musik wirklich ausmacht: Die Seele des Sängers.“
Was sie nie gefunden hatte, war irgendein Hinweis auf Franklins Privatleben. War er verheiratet? War er vielleicht schwul? In der Öffentlichkeit sah man ihn immer nur allein. Leanne spann daraus ihre eigene Geschichte: Er wartete auf die Richtige, die Frau, die seine Seele berührte, damit er ein noch besserer Gesangslehrer werden konnte. Und diese Richtige war natürlich sie.
Tess Morgan lebte in einem Vorort von Glasgow und brauchte fast eine Stunde bis zu ihrem Arbeitsplatz. Früher hatte sie es näher gehabt, als sie noch mit George Morgan verheiratet gewesen war und mit ihm eine luxuriöse Penthousewohnung in dem Glasgower Nobel-Hotel bewohnt hatte, das er managte, und in dem sie an der Rezeption arbeitete. Damals hatte sie nur mit dem Lift in die Empfangshalle hinunterfahren
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