Geht das denn schon wieder los?
Jagd nach neuen Rezepten, besonders nach solchen, deren Fertigstellung man dem Backofen überlassen kann. »Was kommt denn da rein?«
»Na, alles was in der Küche
rum
steht und
fort
muss!«
Ob es nun an Rolfs vermutlich bühnenreifem Auftritt gelegen hat oder – was wahrscheinlicher ist – an dem sich allmählich leerenden Hauptrestaurant, sei dahingestellt, jedenfalls folgten der Fischterrine umgehend die Gans nebst Knödeln und Rotkraut, wobei die Knödel offenbar abgezählt waren – jeder bekam einen, und der hatte auch noch Untergewicht. Der Rotkohl war lauwarm, und die Soße hatte man vergessen. Sie wurde allerdings zusammen mit weiteren Knödeln nachgeliefert, nur waren die inzwischen abgekühlt und hatten die Konsistenz von ausrangierten Tennisbällen angenommen. Kurz gesagt: Das Essen war ein Reinfall, der auch dadurch kaum gemildert wurde, dass zumindest das Dessert ausgezeichnet schmeckte und der Wein ebenfalls. Nur Rolf meinte später, in Prag müsse man unter Lebkuchen etwas anderes verstehen als hierzulande. Die tschechische Variante habe ihn an gebratenen, vorher in Eigelb und Puderzucker gewälzten Pumpernickel erinnert, und ihr eventuell ins Auge gefasster Import sei nicht gerade empfehlenswert.
Den Espresso bekamen wir auch als kostenlose Zugabe, doch nachdem der Geschäftsführer sich nochmals entschuldigt, für den Besuch gedankt und der Hoffnung Ausdruck verliehen hatte, man möge das Haus doch recht bald wieder beehren, lächelte Rolf nur freundlich und meinte: »Damit sollten Sie besser nicht rechnen.«
Peinlich war nur, dass wir gleich darauf um einen Handfeger bitten mussten, um die inzwischen dick verschneiten Autos wieder startklar zu machen. Dass stattdessen gleich drei mit Besen bewaffnete dienstbare Geister antrabten, ließ Rolf noch einmal in das Restaurant zurückgehen, aus dem er erst wieder herauskam, nachdem ich mehrmals auf die Hupe gedrückt hatte. »Ich soll gleich nach Neujahr mal vorbeikommen und mir bis dahin einfallen lassen, wie man den Laden besser bekannt machen kann.«
»Ich weiß ja, dass ein
art director
(früher hieß das ›Werbeberater‹) sein Licht nicht unter den Scheffel stellen sollte, aber wenn du für diesen Pferdestall die Werbung übernehmen willst, dann solltest du dir ein Pseudonym einfallen lassen!«
Weil es immer noch heftig schneite, beschränkte sich der allgemeine Abschied auf ein »Kommt gut nach Hause!« – »Ruft an, wenn ihr da seid!« – »Schönen Gruß an deinen Vater!« – »Sag Trudchen, dass ich mich in den nächsten Tagen melde!«, und was man sonst noch so sagt, wenn sich die Wege trennen. Tom und Katja wollten gleich weiterfahren zu seinen Eltern, das Gleiche hatten Hannes und Stefanie vor, obwohl sie überhaupt keine Lust dazu hatten, und Nickis Schwiegereltern waren irgendwo eingeladen und eigentlich schon viel zu spät dran. Die werdende Mutter wollte natürlich nach Hause, um zu ruhen, wofür ich durchaus Verständnis hatte, und so verlief der Rest des ersten Weihnachtsfeiertages entgegen früheren Jahren ungewohnt friedlich, denn auch Sven seilte sich ab und ward nicht mehr gesehen.
»Das ist jetzt die Ruhe vor dem Sturm!«, prophezeite Rolf, als er mir eine Tasse Kaffee brachte. »Genieße sie! Wenn am Donnerstag die Düsseldorfer einfallen, ist es damit vorbei!«
»Und wenn schon! Kinder sind doch ein Trost im Alter! Jedenfalls wird das immer behauptet.«
»Möglich«, räumte der noch nicht ganz doppelte Großvater ein, »aber sie sind auch ein Mittel, es schneller zu erreichen!«
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Kapitel 4
W enn heutzutage von Überbevölkerung die Rede ist, dann denkt man in der Regel an Entwicklungsländer wie Indien oder Bangladesch und gelegentlich auch an den Kinderreichtum der Familie im Haus vis-à-vis; wird jedoch in der eigenen Familie Zuwachs erwartet, dann spricht man vom freudigen Ereignis.
Das freudige Ereignis namens Tim erblickte das Licht der Welt zehn Tage zu früh und auch relativ schnell am zweiten Weihnachtsfeiertag, was in seinem künftigen Leben sowohl Vor- als auch Nachteile haben würde. Natürlich wird er an diesem Tag nie arbeiten müssen, es sei denn, er tritt mal zum Islam über oder wird Hindu, aber zumindest in den ersten zehn bis zwölf Jahren wird er die Party für seine Kindergarten- und später für die Schulfreunde immer verschieben müssen, weil die potenziellen kleinen Gäste mit Mama und Papa beim Skilaufen sind oder hundertfünfzig Kilometer weit weg zu Besuch bei den
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