Geht das denn schon wieder los?
frei herumlaufenden Hühnern und Enten, mit Wiesen ohne Zäune drum herum, mit einem zahnlosen Hund und einer Großmutter, die noch selber Brot bäckt und handgemachte Knödel auf den Tisch stellt statt welche aus der Packung, und die alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist.
Nun ist der erste Tag nach der Geburt eines Stammhalters dem stolzen Vater vorbehalten, jedenfalls sollte es so sein, und die junge Mutter ist auch froh, wenn nicht gleich die halbe Verwandtschaft zur Begutachtung des Säuglings einfällt. Zu diesem Zeitpunkt sind nämlich weder Mutter noch Kind fotogen genug, um dauernd in die diversen Kameras zu lächeln. Großväter fühlen sich in einer Entbindungsklinik sowieso etwas fehl am Platz, vor allem angesichts solcher Frauenthemen wie Milcheinschuss, Rückbildungsgymnastik und Stillprobleme; immerhin liegt die eigene Jungvaterzeit schon mehrere Jahrzehnte zurück, und so richtig hatte man seinerzeit von dem ganzen Drumherum ja doch nichts mitbekommen.
Jedenfalls war Rolf gar nicht böse, dass ich allein fahren wollte, zumal er auch nicht als Fotograf gefordert war, denn der andere Opa hatte bereits ein Dutzend Fotos geschossen und einige Meter Videofilm belichtet. Sogar auf ein Geschenk hatte ich verzichtet, vielmehr hatten wir uns vorbehalten, später das zu kaufen, was nicht schon in mindestens siebenfacher Ausfertigung vorhanden war beziehungsweise in den nächsten Tagen von allen Seiten noch kommen würde. Soweit ich mich erinnere, besaß Kronprinz Tim in den ersten Wochen seines Lebens so viele Strampelanzüge, dass Nicki bequem Zwillinge hätte ausstatten können.
Die stille Hoffnung, am frühen Nachmittag noch die einzige Besucherin zu sein, bestätigte sich nicht, denn außer Jörg, der natürlich Urlaub genommen hatte, waren noch Tante Katja und zwei Freundinnen da, die allerdings wenig später von einer resoluten Schwester an die Luft gesetzt wurden. »Jetzt warten Sie mal schön vor der Tür, bis ich die junge Mutter versorgt habe!« Dann beugte sie sich über den Schneewittchensarg, hob das Baby heraus und legte es mir in den Arm. »Da, Oma, halt mal!«
Tim hatte fest geschlafen, öffnete jetzt aber halbherzig die Augen, plierte mich kurz an und gelangte dann wohl zu dem Schluss, dass sich eine weitere Betrachtung nicht lohne. Jedenfalls schloss er die Augen wieder und schlief weiter. Auch gut, im Laufe der Zeit würden wir uns bestimmt näher kommen.
Mit Enkel Nummer eins ließ sich schon mehr anfangen – jedenfalls theoretisch. Praktisch lief erst mal gar nichts, denn Bastian verstand nicht, dass Oma und Opa jetzt ganz anders aussahen als noch im Herbst, seine Spielwiese war weg, die Hühner und sogar der Hund. Zwar hatte ihm Sascha wohl auf der Fahrt zu uns noch einmal ausführlich erklärt, dass kleine Jungs meistens zwei Omas und zwei Opas haben, aber irgendwie hatte ihm das nicht eingeleuchtet – wieso auch? Er hatte uns ja monatelang nicht gesehen. Wenigstens seine Tante Katja erkannte er wieder, denn sie war erst unlängst in Düsseldorf gewesen und hatte ihm einen ganz großen Wunsch erfüllt; ein Zweieinhalbjähriger wird sich nämlich noch lange daran erinnern (und erst recht seine Eltern!), wer ihm die schöne laute Hupe fürs Bobbycar geschenkt hat. Oder die Trommel …
Jedenfalls hatte Katja auch noch einmal versucht, ihrem Neffen die doch recht komplizierte Sache mit den doppelten Großeltern zu verklickern, und so bekam ich schließlich den für Bastian einzig begreifbaren Status, nämlich den einer
Tante Oma.
Aber weshalb Rolf nicht mal vorübergehend zum
Onkel Opa
ernannt, sondern gleich als Opa akzeptiert worden war, habe ich nie verstanden. Vielleicht hatte es ganz einfach daran gelegen, dass der beruflich noch engagierte Großvater doch ein bisschen in den Hintergrund gerückt und erst dann richtig interessant geworden war, als er dem inzwischen etwas älteren Enkel heimlich alles das erlaubte, was die Tante Oma nur ab und zu mal gestattete, Mama und Papa dagegen nie; also Gummibärchen zum Frühstück essen und Cola trinken, trotz Husten Eis am Stiel lutschen und mit den neuen weißen Shorts in der Regenpfütze spielen.
Vielleicht sollte ich der Vollständigkeit halber doch noch erwähnen, dass ich meinen Tanten-Status bei Bastian schon im darauf folgenden Jahr verloren habe – wie übrigens auch Katja, denn offenbar werden sogar echte Tanten heutzutage nicht mehr betitelt. Inzwischen sagt auch Tim nur noch »Katja, kannst du mal …«
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