Geht das denn schon wieder los?
Susanne hatte sich aus unseren Überlegungen herausgehalten; vielmehr setzte sie sich neben mich auf den Gipfel der Düne, zog unter mir den Kaktus hervor, der sich dann aber doch nur als ein blumenkohlähnliches, absolut stachelloses Gewächs entpuppte, sagte nichts, machte ihren Fotoapparat einsatzbereit und – wartete.
Und dann war sie plötzlich da – die Sonne! Erst sahen wir nur ihre gebündelten Strahlen, die hinter dem Horizont zum Vorschein kamen, doch dann stieg sie Zentimeter um Zentimeter höher, wölbte sich zum Halbkreis, zwang uns immer mehr zum Blinzeln, aber erst, nachdem sie als scheinbar kreisrunde Scheibe am Himmel stand, fand ich die Sprache wieder. »Das war einfach überwältigend. Warum gibt es so was bei uns nicht?«
»Weil da immer irgendwelche Häuser im Weg sind!«, sagte Steffi.
Schweigend verfolgten wir, wie die Sonne Zentimeter um Zentimeter höher stieg. Die Temperatur aber auch! Schließlich meldete sich Susanne zu Wort: »Hat vielleicht eine von euch ’ne Thermoskanne voll Kaffee mitgenommen?«
Vorbei war’s mit der sentimental-euphorischen Stimmung! Plötzlich hatten wir alle genug von der Sonne, die zunehmend mehr Hitze ausstrahlte, genug vom Sand, und die Wasserflasche war auch schon lange leer. Also Rückmarsch zu Dusche und Futterkrippe, nur – in welcher Richtung lag das alles?
»Susanne, warst du eventuell auch mal bei den Pfadfindern?« Eine nahe liegende Frage, denn Pfadfinder können nicht nur in freier Wildbahn die Richtungen bestimmen, sie können auch ohne Streichhölzer Feuer machen und wissen, welche Kakteen wasserhaltig sind. Die zwei letztgenannten Fähigkeiten waren im Moment noch nicht relevant, aber die Sache mit der Himmelsrichtung könnte wichtig werden.
»Wir sind vorhin nach Osten marschiert, also müssen wir jetzt nach Westen – ist doch logisch!«, behauptete meine intelligente Tochter, nur …
»… wer sagt denn, dass wir nicht doch mal ein bisschen vom Kurs abgewichen sind«, hielt ich dagegen, »und so was kann in der Wüste tödlich sein! Kannste bei Karl May nachlesen!«
»Den habe ich jetzt nicht zur Hand!«
Obwohl sie noch kein Wort gesagt hatte, sondern nur zielsicher losmarschiert war, folgten wir Susanne, die – hügelauf und hügelab – keinen Zweifel aufkommen ließ, die einzig mögliche Richtung eingeschlagen zu haben. Und sie stimmte tatsächlich! Wir mussten nur noch die ganz große Sanddüne überwinden, und als wir endlich oben waren (drei Schritte vor und zwei zurück!), bekam ich Susannes Fotoapparat in die Hand gedrückt und Steffis Video-Kamera, Susannes Pullover, ihre Schuhe, Stefanies Schuhe und zwei Sonnenbrillen, und so bepackt durfte ich halb rutschend und halb fallend die Düne abwärts stolpern, während die beiden anderen sich wie kleine Kinder herunterrollen ließen – weidlich bestaunt von zwei Gärtnern, die unser plötzliches Erscheinen aus dem Nirgendwo zunächst wohl für eine Art Fata Morgana gehalten hatten.
Den übrigen Tag verbrachten wir hauptsächlich an unseren privaten Pools mit dem Versuch, Sand aus Haaren und Hautfalten zu spülen, und den Abend auf der Flucht vor Ilona Wels, die mit den Honeymoonern einen Tagestrip nach Dubai gemacht hatte und nun ihre Erlebnisse loswerden wollte. »Sie ha’m ja keene Ahnung, wat da los is!«, hatte sie uns schon an der Tür zum Speisesaal empfangen. »Det erzähle ick Ihnen nachher an der Bar mal ’n bissken ausführlicher!« Zu ihrem Bedauern hatten wir die Einladung, doch an ihrem Tisch Platz zu nehmen, gleich am zweiten Tag abgelehnt, was Hannes auch glaubhaft begründen konnte. »Meine Schwägerin leidet an Klaustrophobie und muss direkt neben der Tür sitzen, um jederzeit den Raum verlassen zu können.«
Mich hatte nur gewundert, mit welch gleichmütigem Nicken Susanne sowohl ihren neuen verwandtschaftlichen Status als auch ihr Leiden bestätigt hatte. Es stimmte zwar, dass wir den Tisch gleich neben dem Eingang requiriert hatten, aber nicht wegen der Fluchtmöglichkeiten, sondern weil’s da am wärmsten war, wenn die Klimaanlage mal wieder auf höchster Stufe lief. »Seit wann hast du Platzangst?«
»Die kriege ich, sobald ich Ilona sehe!«
Mit der Bar wurde es aber auch nichts, denn es war Freitag, also der moslemische Sonntag, an dem die wahren Gläubigen keinen Alkohol trinken. Folglich gab es an der hoteleigenen Tränke nur Softdrinks, und folglich hielt sich dort kaum jemand auf – man ließ sich vielmehr den Sundowner, den Absacker
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