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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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viele. Man weiß ja gar nicht mehr, gegen wen oder was man sich wehren soll. Es ist alles so diffus geworden. Die Menschen, dachte Thomas, teilen sich jetzt unsichtbar in Herren und Knechte, und jeder, der ein Knecht ist, hat dieses Bewusstsein verinnerlicht, ohne sich vielleicht darüber im Klaren zu sein oder es jemals auszusprechen. Der Knecht, dachte Thomas, ist und bleibt in uns, auch in ihm. Und die Herren waren auch täglich um ihn herum. Es konnte dieser Gimpel da in seinem Nadelstreifenanzug sein oder auch der mit der lässigen Lederjacke dort an der Ampel oder die Frau, die gerade aus der Apotheke kommend ihren Pinscher aufhob und innig aufs Maul küsste. Selbst unter seinen Freunden waren sie, ja sogar unter den Frauen, die Thomas vorgab zu lieben.
    Thomas machte sich selbst zum Knecht. Das wusste er. Es lag eine feine Unterwürfigkeit in seinen Gesten gegenüber manchen, die er als seine Freunde bezeichnete. Er spielte gern den Claqueur, hörte zu, applaudierte laut und bereitwillig, bewunderte und bejahte, nahm Anteil und lobte, und das schien seine Herrenfreunde für den Moment glücklich zu machen, was Thomas wiederum für den Moment glücklich machte. Es hatte Thomas dabei nicht im Geringsten gestört, dass sie nur von sich sprachen und sich immer seltener, mehr der Form halber, auch mal nach ihm erkundigten. Thomas schrieb das seiner Gutmütigkeit zu, von der seine Freunde schwärmten, auch wenn er sich der Dummheit, die darin lag, manchmal nicht ganz verschließen konnte. Dann schrieb er diesen Umstand wieder seiner Neugierde und seinem aufrichtigen Interesse zu, wodurch er, wie er dachte, tiefer in die Freunde hineinsehen konnte, denn wer bewundert wird, der öffnet sich. Er liebte es, durch die Bewunderung, die er zollte, schließlich selbst ein Stück Befriedigung zu bekommen, und darin liegt das Wesen der Knechtschaft.
    Wann beginnt diese Einteilung? Ist sie ein Los, das in früher Kinderheit gezogen wird, vielleicht schon vor der Geburt? Die Frage des Herrn und des Knechtes war einmal eine Bestimmung, dachte Thomas, und diese hervorragende frühe Einordnung erwies sich in manchem späteren Berufsleben als äußerst vorteilhaft. Wer zuhört, anstatt zu reden, dem erschließt sich die Welt, das ist die Macht der Knechte, und ist der Knecht nicht also der geborene Journalist? Thomas treibt es gern auf die Spitze: Sind es nicht die Knechte gewesen, die die Städte gebaut und die Welten entdeckt hatten? Sind nicht sie es gewesen, die das Dekameron, die Ilias und das Buch Hiob geschrieben hatten? Was hatten die Herren dagegen schon geleistet, außer Maulaffen feilhalten und mit einer zweijährigen Tochter völlig überfordert zu sein? So ist das. Der Herr, der starke, ist immer stark. Der Knecht, der schwache, immer schwach. Aber der Schwache kann über sich selbst hinauswachsen, dachte Thomas, er war wie berauscht davon.
    Das Telefon klingelte.
    »Oh Mann«, stöhnte Shandor.
    »Was denn?«
    »Grad bin ich bei Adnan, Mittagessen, die haben da heute Carpaccio und Trüffelspaghetti im Angebot, und was seh ich da?«
    »Ja was denn?«
    »Flipflops.«
    »Flipflops?«
    »Ja Flipflops! Das halt ich nicht aus. Da laufen sie schon mit Flipflops auf der Straße rum. Ich halt’s nicht aus. Ich meine, da warn wir in Siena in der Via Banchi di Sopra, das ist die exklusivste Einkaufsmeile da, und meine Frau trägt Flipflops. Hallo? Flipflops? Ich meine, die Italienerinnen, alle total aufgebrezelt wie verrückt, und meine Alte hat Flipflops an den Füßen? Ich sag zu ihr: Du gehst jetzt zum Auto zurück und ziehst dir Schuhe an. Und wenn du keine Schuhe im Auto hast, dann gehst du da rüber in das Geschäft und kaufst dir Schuhe. Da hast du Geld. Da flennt die Alte auch noch. Also so was. Flipflops. Das macht mich fertig. Das geht gar nicht.«
    »Aber sie hat doch jetzt gar keine Flipflops an, oder? Das waren doch andere Frauen, die du da gesehen hast, wenn ich dich richtig verstanden habe«, wandte Thomas ein.
    »Die macht mich noch krank, die Alte.«

29. The medium is the message. Die Pecha-Kucha-Nacht
    »Hi!«
    Die junge Frau klopft ans Mikrofon.
    »Ich dachte, ich spreche heute über 20 Orte, an denen ich Sex hatte. Und da kann’s auch schon losgehen«, sagt die junge Frau auf der Bühne.
    Auf einer Leinwand erscheint ein Bild. Darauf ein Etagenbett, aufgewühlt, Gitarre, Reiseführer, Turnschuhe auf dem Boden.
    »Ja, da zum Beispiel, ein Hostel in Barcelona.«
    Die junge Frau dreht dem Publikum den Rücken

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