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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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nich schlecht, dass et Engländer jekauft ham. Von wegen der Jeschichte. Die jehen nich so verkrampft damit um, die sehen det nich als Fußfessel.«
    Frantzens ganze schöne Don Quijote’sche Rebellion gegen das Heer der Heuschrecken gerät mit einem Mal ins Stocken; er kann gegenüber dem Mann, der ihm so grinsend ans Kinn schielt, einfach keine Feindseligkeit aufbauen. Es ist ihm, als spräche dieser Mann mit seinem abgewetzten grauen Jackett gleichsam stellvertretend für sein ganzes geschundenes, vergebendes, komisches Volk. Und wenn dieses Volk die Sache derart pragmatisch sah – was sollte er, der rächende Wessi, da noch reißen?
    »Warten wir’s ab.«
    Es ist immer noch ein sonniger Tag.
    Frantz ist nach Schlendern zumute, er läuft hinüber zum Alexanderplatz.
    Auf den Stufen vor der Passage standen die Wurstverkäufer in Reih und Glied. In den Cafés und am Brunnen saßen Menschen in der Sonne. Ein Stück neben Frantz hatte eine Frau mit ihrer Tochter den U-Bahnhof verlassen und ging in gleicher Richtung. Frantz nahm sie im Augenwinkel wahr. Ein Mann überholte sie. Er hatte einen kahlen Kopf, war sehr groß und drahtig. Das Mädchen mochte sieben oder acht Jahre alt sein.
    Der Mann strahlte eine Gereiztheit aus, die Frantz spürte. Rasch war er ihnen zwei, drei Schritte voraus. Der Typ blieb stehen. Er schnellte herum und schlug der Frau mit beiden flachen Händen auf den Oberkörper.
    Frantz erschrak. Es war ein trainierter, ein kontrollierter Schlag. Das erkannte er sofort. Der Mann traf die Frau auf der Höhe ihres Schlüsselbeins. Sie fiel nicht um. Frantz stand augenblicklich stocksteif da. Der Schlag kam aus der Tiefe. Der Mann musste Kampfsportler sein, kein Zweifel. Die Frau blieb reglos stehen. Es musste ihr wohl einen Moment die Luft weggeblieben sein, dachte Frantz, aber sie wirkte fast ruhig, als ränge sie um Fassung. Auch das Kind blieb stehen.
    Der Mann wandte sich ab und ging schnellen Schritts weiter. Als er sich sieben oder acht Meter entfernt hatte, drehte er sich noch einmal um. In diesem Moment fixierte Frantz den Mann. Er spürte, wie ihm das Adrenalin in den Kopf schoss. Die Geräusche des Platzes klangen wie gedämpft.
    »Spinnt der? Eine Frau zu schlagen?«
    Frantz vermochte nicht zu sagen, woher die Männerstimme kam. Da denkt man nicht, dachte er. Da ist man starr. Da liegt die Aggression plötzlich und aus dem Nichts kommend in der Luft. Der Mann wich seinem Blick aus. Einige Passanten waren stehen geblieben. Der Typ rief etwas. Er sprach Holländisch oder Flämisch, das konnte Frantz nicht sagen. Der Typ marschierte in Richtung S-Bahnhof. Frantz zitterte. Sollte er ihm folgen und ihn zur Rede stellen?
    Er setzte sich in Bewegung. Nach wenigen Schritten blieb er stehen. Die Frau und das Kind gingen weiter, ohne von ihm Notiz zu nehmen. Sollte er sie fragen, ob er ihr helfen könne?
    Die Frau verschwand in der Menge.
    Frantz lief zu einem Wurstverkäufer.
    Sie standen auf der Plattform wie eine Gruppe Ein-Mann-Orchester. Uniformiert in orangefarbener Hose und Hemd, trugen sie eine Propangasflasche im Rücken und den Rost vor dem Bauch. Grillwalker, las Frantz auf einer Brust. Über dem Kopf des Mannes war ein Regenschirm aufgespannt.
    »Komm’ Se ma, et is noch Platz im Restaurant. Ketchup? Senf?«
    Frantz deutete auf den Senf.
    »Ick jeb Ihn’ die Tischdecke gleich mit«, sagte der Grillwalker, drückte Frantz die Wurst im Brötchen in die Hand und reichte ihm eine Serviette.
    »Eens zwanzig, der Herr, bitte, danke.«

Gehwegschäden
    Das Schild Gehwegschäden ist ein so genanntes Zusatzzeichen und kein Verkehrsschild im Sinne der Straßenverkehrsordnung. Es erfüllt einen juristischen Zweck: Wer sich auf den Gehweg begibt und dabei zu Schaden kommt, kann die Allgemeinheit dafür nicht haftbar machen.
    Die Mehrzahl der Schäden an den Gehwegen wird von der Behörde selbst festgestellt. Die Bezirksbehörde beschäftigt in jedem Quartier des Bezirks mehrere Begeher. Der Begeher begeht die Straßen seines Quartiers im regelmäßigen Turnus. Der Begeher wird bei der Ausübung seines gemeinnützigen Gehens oft von Bürgern sowie Mitarbeitern des Quartiersmanagements angesprochen – das über eigene Kiezläufer verfügt – und über neueste Gehwegschäden informiert.
    Die Straßen Berlins sind eingeteilt in Straßen der Begehungsklasse Eins und der Begehungsklasse Zwei. Straßen der Begehungsklasse Eins sind übergeordnete, wichtige Straßen wie Hauptverkehrsadern und häufig

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