Gehwegschäden
Spiel gesetzt werden, wenn man über eine Hecke springt.«
Thomas Frantz täuscht an, taucht ab. Er ist geerdet in seinem Intellectual Fight Club, dieser Freimaurerloge unter der Stadt. Nicht der Geist bestimmt die Materie, die Materie bestimmt den Geist. Taucht mit schnellem Sidestep und rechtem kurzen Haken wieder auf, trifft, Schritt zurück, Schritt vor, links, rechts, an den Kopf, in den Körper. Er sucht die Balance. Seine Schläge schützen ihn. Wasser spritzt von seiner Pelle, seinen Strähnen, Kopf, Körper, Körper, Kopf, raus aus dem Mann. Das Rauschhafte daran ist nicht zu verkennen.
Es ist wie ein Besäufnis. Ein großartiges, kollektives Besäufnis. Wir werden alle noch einmal trunken sein. Wir werden nicht kollabieren. Wir werden uns schlafen legen. Und wenn wir aufwachen, wird nichts mehr so sein, wie es war. Thomas Frantz schwitzt. Sein rotblondes Haar ist dunkel vom Schweiß. Keine Angst, mein Junge, du geniales Rennpferd.
12. Thomas Frantz geht zum ersten Mai, landet in einem Panzerraum und sieht sich danach die Boote an
Die pure Freude.
Soziale Menschenrechte statt Almosen. Auch ohne Pass zum Arzt. Kein Bock auf prekäre Karriere. Musik gegen Gewalt, Ich, du, er, sie, wir – das ist nicht unser Bier.
Eigentlich hätte sich der Demonstrationszug der Prekarianer am 1. Mai von Mitte nach Kreuzberg schon um 13.00 Uhr von diesem Punkt aus in Bewegung setzen sollen, aber Pünktlichkeit ist ihre Sache nicht, und auch Thomas Frantz hat zu Hause ein wenig herumgetrödelt, weshalb er rechtzeitig zu Beginn der Demo erscheint, kurz nach 15.00 Uhr.
Kampf dem Sozialfaschismus. Klasse gegen Klasse, Ihr Atzen. Prekäre, wehrt Euch.
Wie Sprechblasen kleben Pappschilder an Holzstangen, die auf dem Bebelplatz liegen. Jongleure werfen Keulen in die Luft, ein dicker Clown unterhält Kinder, Worte wie Sozialismus, Schweinerei und Solidarität liegen in der Luft, etwa in dieser Reihenfolge. Leichte Lounge vom PC. Es ist warm. Vor der Humboldt-Universität, wo die Bücherverkäufer das große Marx- und Engels-Geschäft wittern, liegen sie im Gras. Die pure Freude – Bitburger Pilsener, so steht es geschrieben an der Wand eines Plattenbaus vor dem nahen Alexanderplatz.
Es ist eine bunte Truppe, die sich da eingefunden hat, Mayday-Parade nennt sich das und Marsch der Prekarianer. Und das sind alles wir. Also jeder, der sich nach dem Studium in endlosen schlecht bezahlten Projekten ergeht, kreischt eine grausig schrille Frauenstimme aus den Lautsprechern, jeder, der keinen Arbeitsvertrag hat, jeder, der alleinerziehend ist, jeder, der von Transferleistungen lebt, jeder, der um seinen Job bangen muss, jeder, der noch von seinen Eltern unterstützt wird, auch mit vierzig, jeder, der nicht weiß, wie er nächsten Monat seine Miete zahlen soll, krächzt die Frauenstimme aus den Lautsprecherboxen. Ein paar Punks, viele junge Leute. Wie eine Ansammlung mobiler asiatischer Garküchen sieht das aus, mit bunten Lampions und Lametta reihen sich Vehikel und Stände aneinander auf dem Platz der Bücherverbrennung, wo ein Guckloch im Boden den Blick auf leere Regale freigibt.
Erst regnet es Rechnungen, krächzt die Stimme, dann Mahnungen. Dann Vollstreckungen. Wir müssen lernen, uns dagegen zu schützen. Zu viel Alltag, zu wenig Geld, zu kleine Zimmer. Wir müssen zusammenziehen, das entlastet uns. Wir müssen uns gegenseitig heiraten, das hilft uns.
Da hocken sie auf dem Bebelplatz und lümmeln und dösen in der Sonne, schwarz gekleidet und in Jeans, viel Flipflop, viel Top, Frantz hat sein kaputtes Rad am Zaun geparkt und schlendert durch die kleine Wagenburg, wo die Prekarianer Flugblätter verteilen und kommunistische Zeitungen. Frantz sammelt einiges davon und lässt sich auf einer Bank vor der Juristischen Fakultät nieder.
Eine weiche Männerstimme klingt jetzt aus den Boxen. Ich krieg die Krise. Jeden Morgen beim Weckerklingeln, sagt der sympathische junge Mann, beim Jobcenterterror und beim Ausländerbehördenhorror, sie schwebt über dem Krampf meiner Selbstvermarktung und den Resten meines Dispos. Und was ist morgen? Wie geht’s weiter? Solange Überleben an Einkommen, Einkommen an Arbeit und Arbeit an Wirtschaftswachstum gekoppelt ist, bleibt für uns alles beim Alten. Genu…
Die sanfte Stimme ist plötzlich verschwunden. Scheint ein technisches Problem zu sein. Der Clown versteckt sich hinter einem Elternteil, stellt sich in seinen übergroßen Schuhen auf die Zehenspitzen und tut so, als würde er nach
Weitere Kostenlose Bücher