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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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der Fehler liegt. Dann rufe ich Sie an. Gleichzeitig gehen Sie zu Ihrer Bank und klären das. Abgemacht? Ich kümmere mich, und Sie kümmern sich auch. Dann gebe ich jetzt die Wiedereinschaltung für morgen ein.«
    »Ja gern, so machen wir’s.« Frantz seufzt.
    »Der Außendienstmitarbeiter kommt zwischen neun und sechzehn Uhr. Es ist nicht derselbe, der den Strom abgeschaltet hat. Stellen Sie also sicher, dass er Zugang zum Keller hat.«
    Frantz nickt und diktiert eifrig dem Mann seine Handynummer.
    »Auf Wiedersehen Herr Frantz.« Die freundliche Dame am Informationsschalter lächelt. Die Sicherheitskräfte treten beiseite. Als Thomas Frantz auf dem Bürgersteig vor seinem Fahrrad steht und ihn die feuchte Hitze anspringt, empfindet er tatsächlich so etwas wie Dankbarkeit.

15. Calimero erklärt dem Museumsheinrich im Anna Koschke die philosophische Theorie der zwölf Minuten
    »Was wötsch? ’n Goof? Ja spinnst?«
    An diesem Abend beißt sich Thomas Frantz im Anna Koschke auf Pump ein wenig am Tresen fest. Fred ist da und auch der Schweizer. Sie sitzen schon seit Mittag hier und trinken Fendant, den es exklusiv für den Schweizer gibt.
    »Na ja, manchmal denke ich, ich habe etwas verpasst. Da ist so eine merkwürdige Sehnsucht.«
    »’n Goof. Ich glaub’s nöd.«
    Der Schweizer fasst sich in gespielter Verzweiflung an den Kopf. Thomas Frantz schätzt die grundanständige Art des Schweizers, das Leben wie ein Zürcher Geschnetzeltes zu betrachten. Dat Urs, groß, schlank, an den Schläfen bereits graumelierter Bubischnitt, schwarzer Anzug, weiße Hemden mit Stehkragen, ist in all seiner Perfektion und Hochgeschwindigkeit wirklich ein typischer, liebenswerter Berner. Promovierter Industriehistoriker, seit elf Jahren im Stadium der Habilitation. Jedes Mal, wenn Frantz ihn trifft, mault er, weil er noch immer nicht Professor ist. Was er nie werden wird, weil er dafür längst zu alt ist.
    Dat Urs und den Fred eint eine Leidenschaft. Sie sind glühende Anhänger der Schriften des Marquis de Sade. Sie kennen sich, seit Fred den Webshop für SM-Devotionalien unterhält und der Schweizer einmal bei ihm eine Longierpeitsche mit Gummigriff und Ring am Schlag, eine nylonbespannte Reitgerte aus Fiberglas mit Handschlaufe und Klatsche, eine Dressurgerte, Teleskoppeitsche mit Golfgriff, die Springgerte »John Webb« sowie einen Gertenhalter zur Wandmontage bestellt hat. Der Schweizer lebt von schlecht bezahlten Studienprojekten. Er hat ein Büro mit Gemeinschaftssekretariat an der FU, das er beinahe täglich besucht. Ständig bewirbt er sich völlig aussichtslos auf C4-Professuren, lehnt aber Stellen ab, bei denen es sich nur um ein Museum handelt oder eine Fachhochschule. Er heißt dat Urs, weil er einmal eine solche Stelle angenommen hat. Ausgerechnet im Rheinischen, wovon er sich nie wirklich erholt hat.
    Fred und der Schweizer bilden gemeinsam so etwas wie eine Wehrsportgruppe. Sie treffen sich zu regelmäßigen Exkursionen in die mark-brandenburgische Landschaft. Sie stehen sehr früh auf, fahren mit der S-Bahn raus, legen bei jedem Wetter unfassbare Distanzen zu Fuß zurück, um stillgelegte Fabriken, Kombinatsbrachen, Industriedenkmäler und anschließend eine Schnitzelrestauration aufzusuchen. Wenn sie mit der letzten S-Bahn nach Berlin zurückkehren, schauen sie in aller Regel im Anna Koschke vorbei und danach in der Besenkammer. Sie tun das in Abständen von ein bis zwei Wochen. Eines Tages wird es einen mark-brandenburgischen Industriedenkmalführer geben. Eine schweizerisch-schwäbische Koproduktion mit selbst gemachten Fotos, allerlei Kartenmaterial und einem Anhang mit gastronomischen Tipps. Das Paradethema des Schweizers ist die Kunst und sein Lieblingswort: verhocken.
    Thomas Frantz steht auf, streckt sich, verlässt den Tresen, setzt sich an den Tisch vor dem weinroten Sofa und trifft dort Calimero. Calimero ist der Philosoph des Anna Koschke, er hat zwölf Semester Philosophie studiert, einen Magister seines Fachbereichs erworben und eine Promotion verfasst, er hat Abhandlungen über Popper und Adorno geschrieben, und seither schreibt er Programme. Frantz mag Calimero, das italienische Gastarbeiterkind. Ich bin ein Gastarbeiterkind, sagt Calimero ständig und lächelt dabei, er ist gescheitelt und jung und klug, er sieht gut aus und ist gewandt, exzellenter Schachspieler, verheiratet mit einer Frau mit chinesischem Migrationshintergrund, die Frantz nicht kennt, weil Calimero sie nie mitbringt, drei

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