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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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die Gasse des dicht gedrängten Marktes am Kollwitzplatz schon hineinreichen mochte. Frantz wäre natürlich längst zu einem anderen Olivenstand gegangen, wenn ihn diese Unverschämtheit nicht fasziniert hätte. Zunächst hatte es den Anschein gehabt, als sei der weibliche Elternteil die treibende Kraft in diesem ostentativen Ritual gewesen. Doch etwa nach der siebten oder achten Käsecremesorte holte der männliche Elternteil gewaltig auf. Er probierte, bestellte, scherzte und kommentierte, er schmatzte und befahl einen neuen Schälchengang nach dem anderen, als fräße er sich in einen religiösen Rausch hinein. Da wiederum schien der weibliche Elternteil unter zu wenig Beachtung zu leiden und bestellte in rascher Folge vier Sorten, wobei er süße Zutaten wie Mandeln und Honig bevorzugte. Gibt es auch was Süßliches?, fragte der weibliche Elternteil. Honig, sagte der türkische Verkäufer. Ist nicht nur süßlich, ist zuckersüß. Der türkische Verkäufer lächelte, und der weibliche Teil legte sofort eine Order Käsecreme mit zerhackten Mandeln nach, woraufhin der männliche Elter mit Käsecreme mit zerstoßenem Chili und Käsecreme mit Salbei konterte, bis ein regelrechter Wettstreit unter den Teilerzeugern entbrannt war, der in einer gemeinsamen Verkostung der hellgrünen Bärlauchkäsecreme sein Crescendo fand. Die beiden Elternteile nahmen noch Zopfkäse, eingelegten Schafskäse, zwei verschiedene Sorten Oliven, Olivensalat mit Petersilie und Zitronenstückchen, jeweils eine Schale Meeresfrüchtesalat, Surimi und Käsecreme in Teufelsschoten. Als sie endlich fertig waren, packte der türkische Verkäufer noch ein Schälchen Tabouleh drauf, ein Petersilie-Couscous-Gemisch, das den Elternteilen offenbar entgangen war. Er lächelte und rechnete alles zusammen.
    Frantz zwängte sich weiter durch den übervölkerten Gang. Es roch nach gebratenen Riesengarnelen in Knoblauch, Zwetschgendatschi und Brühen mit Presskäseklößen dazu. An den Ständen warteten lange Schlangen auf Currywurst mit Champagner, Sylter Fischsuppe und Austern. Es war eng, man drückte sich aneinander vorbei, behäbig und gehetzt. Kaum ein Meter Platz zum Atmen. Kinderwagen, bewehrt wie römische Kampfwagen, eckten sich ihre Bahnen durch die Arena, Hauen, Husten, Stechen, alles platzte aus den Nähten, platzte vor guter Laune, graumeliertes, rotbackiges Volk ohne Raum. Prost Alter. Kleinstkinder stolperten lallend, brüllend herum, nonne Runde Prosecco, vorn gibt’s ’n Schlach Erbse mit Speck aus der Feldkanone, Grundlage Alter, Grundlage, original NVA, oh Mann, da kommt doch der, nee, langweilig wird’s nie, und die, ein Ding jagt jetzt das andere, heut Ahmt Lammlachse im Kräutermantel an Rotwein-Vanille-Sauce mit Gemüsecouscous, Romanesco und Wildreis, is ja ’n Ding.
    Frantz hielt an einem Biostand.
    Austernpilze, 12 Euro.
    Frantz sagte, er wolle 200 Gramm Austernpilze. Die junge Frau wog die Pilze ab.
    »24,40 Euro.«
    »Wie bitte?«
    »24,40 Euro.«
    »Was sollen diese Pilze kosten?«
    »Na 12 Euro.«
    »Entschuldigung, Sie meinen doch wohl das Kilo.«
    »Nein, 100 Gramm. 200 Gramm macht 24 Euro.«
    Jetzt wurde es Frantz zu bunt.
    »Also wissen Sie, was das ist? Ein Austernpilz?«
    Die junge Frau sah Frantz mit großen Augen an.
    »Ein Austernpilz ist ein Baumschwamm. Der heißt nur so. Es ist ein absolut minderwertiger Pilz, der in jedem Wald an jeder Tanne wuchert. Und das wollen Sie mir für 12 Euro pro 100 Gramm verkaufen? Sie meinen wohl doch das Kilo!«
    Die junge Frau blickte auf die Pilze und dann in Frantzens Gesicht. Sie drehte sich um und besprach etwas mit ihrem Kollegen, einem älteren Mann, der mit einer Kundin beschäftigt war. Als sie zurückkam, deutete sie auf das Preisschild.
    »Nein, das stimmt. 100 Gramm 12 Euro.«
    »Für einen Baumschwamm?«
    Frantz wurde laut, so dass die hinter ihm stehenden Kunden es hören mussten. Das Mädchen zuckte mit den Schultern.
    »Wollen Sie die Pilze oder nicht?«
    »Nein! Natürlich nicht!«
    Frantz war wütend und verließ den Markt.
    An einer Tramhaltestelle setzte er sich und rauchte zur Beruhigung eine Zigarette. Dort stand ein junger Altvater, Frantz schätze ihn auf Mitte fünfzig, mit seinem Kind. Das Kind verhielt sich völlig ruhig. Es machte auch sonst den Anschein, als sei es mit sich selbst recht zufrieden. Da packte der junge Altvater das Kind, riss es hoch, warf es mit einem Schwung über den Kopf und setzte es auf seine Schultern. Dann fing er an zu traben.

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