Geier (German Edition)
herumstehen, ohne dass sie Schaden nimmt. Also deckte ich sie ab und ging zum Haus hinunter. John hatte mich gebeten, ihm am Nachmittag im Studio zu helfen. Wir setzten uns erst mal in die Küche und futterten, dann ging ich in den hinteren Teil des Hauses und schaltete die Technik ein.
Er benutzt gern Röhrenverstärker und die dazugehörigen dreißig Jahre alten Aufnahmegeräte. Gibt einen wärmeren Ton, meint er, und ist mit dem Tick beileibe nicht allein. Die alten Röhrendinger sind wirklich sehr schön, die Arbeit mit ihnen macht viel Freude. Beschissen ist nur, dass es ewig dauert, bis das Zeug warm ist. Und das sollte es sein, sonst ist der Sound nicht auszuhalten. Betriebswarm.
Ich werkelte im Aufnahmeraum, während die Osramröhrchen schön vor sich hin glühten, stellte Mikros auf, justierte Blenden und bewegte Stellwände. Dann schaltete ich den Computer ein, der sicherheitshalber alles mitschneiden würde, testete im Diagramm des Record-Programms die drei Aufnahmemikrofone, steckte den Kopf zur Tür raus und rief John. Der meldete sich nicht.
Ich ging um die Ecke ins Wohnzimmer – da stand er am Fenster und schaute raus. Wedelte mit der Hand nach hinten. In meinem Buch heißt das Hau Ab, Aber Schnell, also nuschelte ich ein leises: „He?“
Er drehte sich zu mir um, zeigte mit dem Daumen über seine Schulter und deutete mit dem Kopf auf die Hintertür. Ich öffnete sie so leise es nur ging, schlüpfte hinaus und drückte sie von außen lautlos zu. Dann machte ich, dass ich gebückt an den Waldrand kam.
Ich sah nichts. Allerdings hörte ich die Vordertür aufgehen und John recht jovial: „Hello there“, rufen. Eine Antwort hörte ich nicht. Nur die Tür. Die schlug zu.
Ich lief durch den Wald, ging knirschvermeidend einige Meter Schotterweg entlang und kurvte um einen der gewaltigen Felsen, bis ich Haus und Hof wieder im Blickfeld hatte. Am gegenüberliegenden Waldrand, zur Straße hin, stand ein schwarzer oder dunkelblauer Chevrolet. Jemand lehnte dagegen – ich meinte, das sei der junge Drogenbulle, der mir so viel Angst gemacht hatte. Vorsichtshalber zog ich die Rübe wieder ein, obwohl nicht wahrscheinlich war, dass er gegen den dunklen, bewaldeten Berghang etwas ausmachen konnte.
Mir fiel ein, dass im Schuppen eine Gegensprechanlage zum Studio im Haus angebracht war. Die Tür zwischen Studio und Wohnzimmer hatte ich offenstehen lassen. Ich trabte hinüber, setzte mich ins verglaste Übungsstudio und drehte die Anlage um zwei Markierungen auf. Wie von sehr weit weg hörte ich, wie John etwas sagte. Noch ein Schalterklicken und ich konnte verstehen, was gesprochen wurde.
„Der ist heute Mittag weg, und ich habe keine Ahnung, wohin“, sagte John. Daraufhin ein Klatschen und ein unterdrückter Schrei, dem noch mal ein Schlaggeräusch folgte.
„So. Noch mal. Wo ist er?“ Das war der Indianer. Unverkennbar. „Sagte ich doch gerade,“ beharrte John hartnäckig, was dem Fragenden nicht gefiel. Batsch! Ich hatte das ja auch erlebt. Tat verdammt weh. Man hörte es an Johns Reaktion.
„Du kannst zuschlagen, wie du willst. Ich kann dir nichts anderes sagen.“ Er hörte sich an, als fehlten Zähne. Der Indianer keuchte, als er wieder zuschlug.
Ich lag in der Hütte und wagte nicht, mich zu rühren. Seit dem furchtbaren Sonntag lässt mir mein Gewissen keine Ruhe – ich weiß, dass ich irgendwas hätte tun sollen, um meinem Freund zu helfen, aber ich war vor Angst wie gelähmt. Meinen schicken, neu gekauften Ballermann hatte ich im Haus. Der lag in meiner Wäscheschublade und nützte mir absolut nichts. Ich konnte nicht auf dem Motorrad weg und Hilfe holen, denn der Jüngling stand in der einzigen Ausfahrt. Telefonieren ging auch nicht, weil mein Handy ganz unhandlich neben der Pistole lag.
Das einzige, was ich machen konnte, war dokumentieren. Der Computer war eingeschaltet, nahm auf, und hatte genügend Platz auf den Festplatten für runde zehn Stunden. Ich wählte mich ins File Transfer Programm ein, stellte eine Verbindung zu Dickies Studiocomputer her und ließ das Aufgenommene sicherheitshalber auf beide Rechner aufzeichnen. Wer weiß, wozu es gut war. Schaden konnte es nicht. Dachte ich in meiner Unschuld.
Sie bearbeiteten John wohl eine halbe Stunde lang. Ich saß im Schuppen und konnte nur zuhören, nur überlegen, wie ich ihn aus den Klauen dieser Superbullen holen konnte, aber nichts tat sich. Mir fiel nichts ein. Ich schäme mich noch heute über meine
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