Geier (German Edition)
wirklich war. Amerikanische Mobiltelefone sind dafür bekannt, dass jeder Trottel mit einem Transistorradio Gespräche mithören kann, und bessere Hacker können mit einfachen Geräten innerhalb von Minuten feststellen, wo sich ein Gesprächsteilnehmer gerade aufhält.
„Ich wollte dir morgen dein Auto bringen“, begann er, aber ich schnitt ihm das Wort ab.
„Dickie, ich glaube, das ist keine sehr gute Idee. Inzwischen stecke ich bis zur Kinnlade in der Scheiße. Und ich will nicht, dass sie dich auch noch aufs Korn nehmen. Lassen wir´s.“
Davon wollte er nichts hören. „Quatsch, Junge. Pass auf – wenn ich Zeit habe, hole ich´s, und ich stelle es irgendwo ab, wo du gut drankommst, wenn du es brauchst. Wir telefonieren noch – dann sage ich dir, wo und wann.“
Was soll man dazu sagen. „Dickie, lass es. Mir zuliebe. Mach´s nicht. Und noch was – ich habe dir eine Sendung überspielt.“ Stimmte nur bedingt – was ich ihm überspielt hatte, war nicht zur Ausstrahlung gedacht. „Trenne den Audiotrack zu Beginn der Aufzeichnung und stelle ihn in meine Dropbox in der Wolke, mache dir CD-Kopien davon und lösche das Original. Das ist ganz wichtig, Dickie. Du wirst die riesige Datei gleich sehen. Kümmere dich als erstes darum.“
Klar, macht er, Junge. Kein Problem. Der war so aufgedreht, dass er garantiert wieder was fürs Herz bei sich hatte. Glückssträhne. Der Kleine ist aktiv.
„Dickie, du hast doch was zu bumsen zuhaus. Hab´ ich recht?“
„Stimmt.“ Mehr wollte er nicht sagen, aber so ein freudiges „stimmt“ habe ich selten gehört.
„Hört er mit? Kannst nichts sagen, oder?“
„Genau.“ Muss sich von seiner Seite komisch anhören. Ein- und zweisilbig.
„Kennst du den schon länger? Oder ist es einer vom Strand?“
Dickie meinte „ja“, worauf ich wieder „Strand?“ fragte und er noch mal bejahte.
Mir blieb das Herz stehen. „Bist du wahnsinnig? Dickie, was ist, wenn der auf dich angesetzt wurde, um an mich zu kommen? Das Auto kannst du vergessen – ich will es jetzt auf gar keinen Fall. Sehe dich mit dem Typ vor, Dickie, schmeiße ihn raus. Sicherheitshalber. Ich muss auflegen. Rufe dich später an.“ Er wollte irgendetwas sagen, aber ich schnitt ihm das Wort ab.
Wenn der Schwanz steht, steht der Verstand. Vielleicht war ich wirklich paranoid. Aber unter diesen Umständen einen Fremden ins Bett holen war ja wohl der höchste Schwachsinn. Andererseits wusste er natürlich nicht, welch grauenvolle zwei Tage hinter mir lagen. Trotzdem.
Um halb sieben war ich kurz vor San Miguel und setzte mich an den Tresen der Motorradkneipe, wo ich schon oft gut gegessen hatte. Zwei Eier, Schinken und Schweinswürstchen, Orangensaft und Kaffee. Das haute hin. Die Kneipe ist im ehemaligen Wohntrakt eines Bauernhofes. Da ist das Zeug immer frisch, und wer um Nachschlag bittet ist ein angesehener Gast. Ich holte mir die Zeitung aus dem Verkaufskasten vorm Haus und las erst mal.
Nichts. Kein Ton. Da hatte ich die beiden übelsten Wochen meines Lebens hinter mir, und keiner kümmert sich. Das unerklärte Verschwinden des Curt Cramer, Esquire, war auch keine Zeile wert. Die nahmen das einfach nicht ernst. Und von wegen Drogen in unserer piekfeinen Gegend, von wegen Gewalt und Schießerei – nichts.
Nur Mist in der Zeitung, mit hübschen Titelseitenbildchen von hüpfenden Delfinen vor der Küste und Walen im Meer und an Land – einer schwamm, der andere saß unter einem Sonnenschirm und versperrte Dünneren die Sicht. Nur Scheißdreck. Nicht mal der für die Kirchturmspitzenmentalität amerikanischer Zeitungsmacher symptomatische Rohrbruch in der Main Street.
Ich warf den Wisch angewidert in den Mülleimer, stieg auf die Maschine, obwohl mir vom Feldweggehoppel der Hintern ganz schön wehtat, und tuckerte Richtung Freeway. Aber dann ließ ich die Auffahrt rechts liegen und fuhr ins Dorf hinein.
Warum ich an der Mission San Miguel anhielt, weiß ich bis heute nicht. Aber ich tat´s. Hielt in der Seitenstraße, wo der alte Indianerfriedhof dicht am verfallenden Glockenturm liegt, schob die Harley durchs offene verwitterte Holzgatter und stellte sie in den Schatten der riesigen Magnolie, die seit hundert Jahren an der Friedhofsmauer wächst.
Dort überfiel mich wieder der verdrängte Terror des mitgehörten Mordes, die Scham über meine feige Tatenlosigkeit, die grenzenlose Trauer über den Tod meines Freundes. Gewissenbisse waren sinnlos. Nichts würde John
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