Geier (German Edition)
Nordwestarizonas ist. Unter der Kulturschicht lauert Wildnis. Noch immer. Sogar auf dieser kurzen Strecke. Chloride erinnerte denn auch an nichts so sehr wie an ein zentralafrikanisches Urwalddorf. Hütten, die Schutz vor Tieren und dem Wetter boten. Mehr nicht.
Wir setzten uns in das einzige Restaurant des Kaffs und bestellten Bier, Green Chili und Tortillas. Die drei anderen Gäste schauten uns feindselig an. Vielleicht hatten sie vom gelegentlichen, tagsüber hereinstolpernden Touristen genug, oder es war Winstons Hautfarbe. Er störte sich nicht daran, also konnte es Rick und mir auch egal sein.
Das Essen war prima, und wir hauten rein. Genügend Bier hatten die, zum Glück, denn Rick und ich hatten einen Mordsdurst. Als guter Rasta trank Winston keinen Alkohol, aber er feuerte nach dem Essen einen gewaltigen Spliff an, dessen süßlicher Rauch sich mit dem Tabaksqualm in der Bude vermischte. Die lauernden, unrasierten Einheimischen schauten freundlicher und tuschelten nicht mehr so bedrohlich wie während unseres Essens.
Nach einer Weile begann einer in rot kariertem Flanellhemd und ausgebleichten braunen Cowboystiefeln gar zu kichern. Seine Freunde starrten uns wieder böse an. Wir gingen lieber.
Ich wollte unbedingt unser Gespräch von vorhin vertiefen, aber Winston ließ uns nicht aus den Augen. Wir spazierten durchs Bretterbudendorf, schauten uns im warmen Sonnenlicht des frühen Abends die traurigen Reste einer einst blühenden Bergwerksgemeinde an und hingen unseren Gedanken nach.
Die Straße führte in die Berge. Hundert Meter nach der letzten unkrautumrankten Hütte zweigte ein fast zugewachsener Pfad nach links ab. Wir folgten ihm und kamen zu einem notdürftig vernagelten Stollen. Ich steckte neugierig den Kopf hinein, aber die unterirdische Kälte und Dunkelheit schreckten mich ab. Die beiden hatten es sich auf einem Felsen bequem gemacht und schauten über das enge Tal, über die Siedlung zu den von schräg stehenden Sonnenstrahlen eingerahmten Bergspitzen im Westen. Ich setzte mich zu ihnen.
„Ihr wollt euch sicher unterhalten“, erkannte Winston die Situation. Ich nickte. „Dann gehe ich gleich mal ein Stückchen weiter den Weg hinunter, damit ihr das ungestört könnt. Meine Chefin will, dass ich euch sage was ich für sie tue. Sie will außerdem, dass ich auf dich aufpasse, Jon, also werde ich das. Du kennst Rick und vertraust ihm, was in Ordnung ist. Außerdem trägt er keine Waffe. Wie ich vorhin feststellte.“
„Hab´ gedacht, du wolltest mit mir anbändeln“, grinste Rick, was mich verblüffte. Humor habe ich ihm mein Leben lang nicht zugetraut. So täuscht man sich.
Winston musste auch lachen. „Ja, mon, a little love zwischen den Kakteen. Wäre doch was.“ Und wurde wieder ernst. „Meine Chefin und mich verbindet ein gegenseitiges Schutzverhältnis; sie schützt mich vor meiner eigenen Dummheit, und ich schütze sie vor Leuten, die ihr schaden wollen. Wir haben ein paar Geschäfte miteinander, hier einen Deal und dort ein kleines Wagnis, und sie ist immer fair. Immer ehrlich. Sie kennt sich mit Business und mit Leuten aus. Und ich sehe zu, dass alles ohne Ärger abläuft. Damit kenne ich mich aus. Weshalb sie mich gebeten hat, sicherzustellen, dass euch hier keiner an den Kragen kann.“
„Wer ist deine Chefin?“ wollte Rick wissen.
„Tut nichts zur Sache. Du wirst sie auch nicht kennenlernen. Jemand, an die Jon durch gemeinsame Bekannte geraten ist, und die ihn an jemanden weiterreicht. Übrigens wird sie sich sofort von euch lösen, wenn ihr nachspioniert wird.“
„Ist ja schon gut“, entschuldigte sich Rick. „Ich wollte nicht neugierig sein. Ist schließlich auch egal.“ Er schien mir leicht eingeschnappt.
Winston stand auf. „Ich bleibe unten an der Straße. Besprecht ihr, was ihr zu besprechen habt, und kommt dann runter. Wir fahren anschließend wieder nach Vegas, wenn ihr wollt. Oder die halbe Stunde nach Bullhead City und übernachten dort.“ Ich nickte. Mal sehen.
Rick und ich gingen nebeneinander in die wild bewachsenen Hügel. Um diese Tageszeit waren Klapperschlangen am gefährlichsten, weil sie ausgehungert jagten, also war Vorsicht angesagt. Wir schauten auch mehr nach unten als geradeaus.
Ich erzählte wieder, ließ nichts aus, und war erstaunt, dass es schon neun Uhr war, als wir zu Winston zurückkehrten. Wir hatten uns auf einen vorläufigen Plan geeinigt, auf eine Aufgabenteilung, die uns die nächsten Wochen auf Trab halten
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