Geier (German Edition)
Jahren keine mehr abgegeben hast. Nur Hundertprozentiges für Brother Ignacio.“ Er war stolz auf seine Arbeit. Ich war glücklich.
Wir halfen, das viele Handwerkszeug im Kastenwagen zu verstauen. Er fuhr gegen Mitternacht wieder nach Hause – „ist ja nicht weit, ist ja nur eine gute Stunde oder so“ – und wir tranken noch ein Bier im Garten. Eine ruhige, helle Nacht war es, wie gemacht fürs Geschichtenerzählen oder einfach Zusammensitzen.
„Warum bist du Franziskaner geworden?“
„Weil ich nicht mehr Polizist sein wollte. Zuviel Blut, zu viel Beschiss und zu wenig Menschlichkeit. Ich habe das über zwanzig Jahre gemacht und war reif für den Schaukelstuhl.“
„Was ich ja verstehe“, sagte ich, obwohl ich nicht verstand. „Aber ausgerechnet Mönch? Ist ja das genaue Gegenteil des alten Jobs.“
„Das Gegenteil dessen, was aus mir wurde. Denn man wird, was man tut. Klischees beruhen auf Wahrheit. Ich habe gemerkt, wie ich von Jahr zu Jahr gefühlloser wurde, wie mir der ganze Sumpf zur Norm wurde, wie wenig mir die Menschen bedeuteten, mit denen ich beruflich zu tun hatte – und die, die mir mal wichtig waren.
Man stumpft ab. Ärzte stumpfen ab, Polizisten und Richter stumpfen ab, selbst Priester stumpfen ab. Ich bin Polizist geworden, weil ich dachte, damit die Welt verbessern zu können. Reiner Idealismus. Der Schritt hierher lag also nahe.
Noch bin ich nicht gebunden. Ich habe erst mein vorläufiges Gelübde abgelegt, aber in zwei oder drei Jahren wird man mich auffordern, mich zu entscheiden, und dann werde ich mit Leib und Seele Franziskaner. Kein vorläufiger mehr, kein halber, nicht mehr einer, der jederzeit zurück kann.
Das Gelübde fordert Armut, und völlige Mittellosigkeit bedeutet Gebundenheit. Ausweglosigkeit, wenn du willst. Für mich heißt es die Entscheidung nie bereuen, sondern jeden Tag alles wieder verschenken. Alles, was man ansammelt. Liebe, Wissen, Erkenntnis. Alles wieder unters Volk, so schnell man kann. Denn die Welt darbt, und wir können ihr helfen.“
Er lehnte sich in den Stuhl zurück. Erschöpft sah er aus, völlig fertig. Das Mondlicht, vielleicht. Ich hielt ihm noch eine Flasche Bier hin, aber er schüttelte nur den Kopf.
Nichts für mich, so ein Leben. Eine Zeit lang ja, aber auf Dauer? Man musste schon ordentlich fertig sein, um das als Aufgabe zu sehen, als wünschenswerte Aufgabe. Bewundernswert. Vermutlich.
Am nächsten Morgen hatte ich keine Ausrede mehr. Entweder ich blieb mein Leben lang in den vier Wänden der Mission, oder ich wagte mich heute wieder unter die Leute. Also sagte ich Ignacio was ich vorhatte und stieg ins Auto. Er meinte, es sei ratsam, ein paarmal anzurufen und einfach zu erzählen, wo ich bin und was so läuft. Logisch. Mache ich.
Ich fuhr nach Süden. An San Luis vorbei, an Pismo, an Nipomo. Dann von Osten her über den Tepusquet Peak ins Santa Maria Valley.
Als ich in fast einem Kilometer Höhe durch den Wald fuhr, suchte ich eine Parkgelegenheit, eine Aussicht über das weitläufige Tal. Die Laubbäume des zwölfhundert Meter hohen Tepusquet halten die obere Hälfte des Berges kühl; wenn im Hochsommer die Hitze zwischen Meer und Stadt steht, wenn sich keine Brise regt und kaum Schatten zu finden ist, dann fährt hier hoch, wer ein Ferienhäuschen oder ein Grundstück im dichten Wald hat.
Einige Dutzend Hütten und Wohnwagen standen am massiven Berg. Und die Straßenverwaltung hatte tatsächlich an besonders hübschen Stellen kleine Ausbuchtungen gebaggert, hatte sie mit Schotter befestigt und als Aussichtspunkte gekennzeichnet.
Ich fand eine Stelle, an der ich mein Auto im Laubwald verstecken konnte und von der Straße aus einen ungehinderten Blick bis zum Meer hatte. Dort stand ich eine gute Stunde und schaute. Orientierte mich, machte einige Fotos, damit ich das Plätzchen wiederfand, und genoss ganz einfach die Aussicht.
Ich fühlte mich frei hier oben, besonders nach der Heidenangst, die ich in den vergangenen Tagen auszustehen hatte. Ich war nicht mehr der Jüngste: Was ich vor zehn Jahren lachend abgetan hätte, lässt heute den Schweiß fließen.
22 Avila
Die drei Drogencops waren mir ein Rätsel. Ich hatte in der Mission viel über mich und meine Gegenspieler nachgedacht. Dass Drogenhändler ihr Geschäft aus Habgier machen, ist klar. Keine Frage. Also verstand ich Moreno und Genossen, kannte ihre Motivation und konnte mich demzufolge einigermaßen schützen.
Aber die Bullen waren
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