Geier (German Edition)
Boden, sozusagen, weiterschnüffeln. Werde ich in den nächsten paar Tagen tun. Treffen wir uns am Wochenende wieder. Aber diesmal wirklich ohne jedes Risiko. Ich schlage vor, wir verabreden gleich einen Ort und eine Zeit.“
Fand er auch. Wir einigten uns auf den Starbucks Coffeeshop auf Ventura Boulevard in Sherman Oaks. Drei Uhr am kommenden Sonntag. Am Wochenende waren die Los Angeles Vorstädte immer gut besucht, was das Entdeckungsrisiko noch mal mindert.
In den beiden vollen Tagen dazwischen hatten wir noch Gelegenheit, einiges zu erfahren. Ich hatte ohnehin vor, mich nachher bei Moreno auf die Lauer zu legen und den Rest des Abends nur den Handelsbetrieb zu beobachten. Sollte sich eine Gelegenheit ergeben, würde ich aktiv werden, aber im Prinzip wollte ich so viel Routine wie möglich im gegnerischen Lager sehen.
Rick und ich tranken noch einen und schauten dabei auf den Hafen von Port San Luis. Mir gefiel der schon immer. Ein richtiger Arbeitshafen, kein Schickihafen mit Jachten und kostümierten Fettsäcken, sondern hauptsächlich authentische Fischer und Seeleute. Mit den entsprechenden Fahrzeugen.
Die Kutter waren bunt vor Rostschutz, Farbe blätterte überall ab und kein Messing glänzte in der Sonne. Dafür wurden riesige Netze voller Fische am Pier entladen, wo der Fang von Fischgroßhändlern gleich verarbeitet und verkauft wurde.
Ein ordentliches Restaurant bot zwei Häuser weiter Fischgerichte mit Blick auf Meer und Meeresbewohner – Glastische standen über ausgesägten Gucklöchern, damit man beim Essen schwimmende Seelöwen und sich festkrallende Seesterne beobachten konnte - , die Hafenpolizei hatte ein Büro im zweiten Stockwerk, daneben war die Küstenwache untergebracht und ein Kleinunternehmer mit Humor hatte sein Motorboot in Yellow-Cab-Taxifarben bemalt, mit dem er die paar Freizeitmatrosen zu ihren in der Bucht vertäuten Dollargräbern transportierte.
Hinter den Hügeln, die aus dem Meer aufstiegen, stand das verhasste Atomkraftwerk Diablo Canyon mitten auf einer aktiven Erdbebenspalte. Man bestaunt noch immer die Weisheit der Behörden und den Mut der Erbauer, die sich diese Eulenspiegelei leisteten. Unter dem Ding kann sich jederzeit der Boden öffnen, aber die Betreiber beruhigen auf Anfrage immer, dass so ein Atomkraftwerk „nicht in die Luft gehen kann.“
Schon mal was von Tschernobyl gehört? Fukushima?
Wir gingen zum Landungssteg, spazierten zweihundert Meter über Brecher und Meer bis zum Restaurant und kehrten wieder um. Der Fischhändler hatte gerade einen Fang abgeladen, über seiner Annahmestation am Rande des Piers kurvten, schrieen und schissen Hunderte Möwen, Pelikane und Reiher. Im Wasser bellten sich Seehunde heiser, daneben tauchten Otter, die sich auf den Rücken legten und mit hochgebrachten Steinen so lange auf ihre Muschelbeute einschlugen, bis sie aufplatzte. Dann fraß der Seeotter, ließ Muschelschale und Stein von der Brust ins Wasser fallen, drehte sich um und tauchte erneut.
Über den Hügeln Pismos wuchsen schneeweiße Hitzewolken in den tiefblauen Himmel. Pismo Pier wurde von einer Landzunge verdeckt, aber allein das Wissen, dass er da lag, ließ mir das Heimweh in die Augen steigen.
Ich verfluchte innerlich mein Pech, die Zufälle, die mich hatten auflaufen lassen. Ich hätte alles gegeben, die wacklige Aluminiumtür meines kleinen Mobilheimchens wieder hinter mir zuknallen zu hören.
Warum mussten mir solche Dinge passieren? Wie damals, als ich noch zur Schule ging, einen Haufen Freunde hatte und sich der private Teil meines Lebens im Wasser oder auf den Rücksitzen von Autos abspielte. Musste mir mein Alter mit seiner dämlichen, ungezügelten Geilheit das bisschen Sicherheit rauben, das mein Lotterleben unterbaute. Das verzieh ich ihm nie. Noch heute nicht.
Man buddelt seine Höhle, man schafft Sachen an, man arbeitet, um sich gegen Widrigkeiten abzusichern, hängt sich an Leute, damit die sich an einen hängen können. Der Glaube, nun ein gutes Fundament geschaffen zu haben, wird im Nu zerstört, ohne Vorankündigung, ohne einen Sinn zu ergeben, zufällig, gedankenlos. Durch so was. Es reicht schon, am Strand über Leichen zu stolpern.
Es gibt keine Sicherheit. Es gibt Versprechen, aber die werden ohne mit der Wimper zu zucken gebrochen. Es gibt keine Gemeinschaft, keinen Gruppenbeistand. Eine Erfindung der Drei Musketiere, aber keine Realität. Es gibt nur das Ich und Du. Der Mensch ist allein, aller Behauptungen und
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