Geisel der Leidenschaft
begegnet, einem größeren Krieger. Von seinen Feinden wurde Wallace oft unterschätzt. Obwohl er einer bürgerlichen Familie entstammte, hatte er eine ausgezeichnete Erziehung genossen. Er war ein hoch gewachsener, kräftig gebauter Mann. Aber seine Siege verdankte er nicht seinen körperlichen Vorzügen, sondern einer sorgfältig geplanten Strategie. Auch in der Niederlage geriet er nie ins Wanken. Für Schottland wäre er bereit zu sterben, und Brendan wusste, dass auch er dazu bereit sein musste, wenn er mit Wallace ritt. Aber er betete ebenso wie der Anführer täglich um sein Leben.
An diesem Abend wehte nur ein schwacher Wind. Der Mond berührte das Wasser. Wo sich der Himmel und das Meer trafen, war nicht zu erkennen. Genauso gut hätten sie irgendwo in der Ewigkeit segeln können.
»Ich mag diesen Piraten Longueville, Brendan«, erklärte William. »Weil er so aufrichtig ist.«
»Seit Jahren plündert er zahllose Schiffe.«
»Aye, und er gibt's offen zu.« Williams Augen funkelten. Zum Anführer und Krieger geboren, sah er wahrhaft eindrucksvoll aus. Mit seiner tiefen Stimme und wohl gesetzten Worten vermochte er seine Anhänger immer wieder mitzureißen. Aber wer ihm nahe stand, kannte auch seine verborgenen Züge - seine Verletzlichkeit, seine Sehnsucht nach jenen seltenen Augenblicken, die ein Lächeln erlaubten.
»Also ist ein Unrecht nicht verwerflich, solange man's eingesteht?«, fragte Brendan. »Dann müssten wir auch Edward verzeihen, weil er niemals leugnet, dass er Schottland erobern und alle Schotten vernichten will.«
»Ein ehrlicher Feind ist mir lieber als ein trügerischer Verbündeter.«
»Da muss ich dir zustimmen.« Brendan nahm einen großen Schluck aus seinem Trinkhorn. Dann schüttelte er den Kopf und versank in Schweigen. In der Tat, er gab William Recht. Bei Falkirk hätten die Schotten gesiegt, wäre John Comyn der Rote nicht mit seiner Kavallerie geflohen. Er war ein Vetter des entmachteten schottischen Königs John, in dessen Namen Wallace weiterhin für Schottland kämpfte. Und Robert de Bruce, der ebenso wie Comyn Ansprüche auf den Thron geltend machte, hatte niemals an Williams Seite gestanden. Manchmal kämpfte er für Edward. Aber nach der großen Schlacht hatten de Bruce und Comyn das Land in einem unheiligen, unsicheren Bündnis zusammengehalten. Bald hatte de Bruce sein Amt aufgegeben. Und jetzt kursierte das Gerücht, er würde demnächst einen Friedensvertrag mit dem englischen König schließen -ein Mann, der viel zu verlieren hatte.
»Heraus mit der Sprache, Brendan!«, befahl William.
»Hin und wieder frage ich mich ...«
»Was?«
»Niemals bist du ins Wanken geraten, William. Du hast unbeirrt für Schottland gekämpft. Aber nicht für deinen persönlichen Gewinn. Ein paar Mal wollte Edward dich bestechen. König Haakon von Norwegen würde dich nur zu gern willkommen heißen, dir Ländereien schenken - und einen Titel. Jetzt weiß Philipp, dass du nach Frankreich segelst, und unser guter Freund, der Erzbischof von Lamberton, lobt dich auf all seinen Reisen überschwänglich. Schon vorher waren wir in Frankreich und wir wurden am französischen Hof hoch geehrt. Wir waren in Italien, in Rom. Nun versuchen wir Philipp von einem Pakt mit England abzuhalten, der Schottland schaden würde. Wie auch immer, in Frankreich wird man dich mit offenen Armen aufnehmen. Philipp begrüßt dich stets mit Freuden, ver-traut dir das Kommando seiner Truppen an und belohnt dich großzügig. Aber stur, wie du bist, kämpfst du lieber für Schottland, statt französische Ruhmeslorbeeren zu ernten. Als wir grandiose Siege errangen, zogen unsere Aristokraten - zur Hölle mit ihren schwarzen Seelen - den Schwanz ein! Sie träumen von Schottland. Und dann streiten sie miteinander. Wer wird den Thron besteigen? Nur wenn ich gekrönt werde, bin ich bereit zu kämpfen ... O Gott! Manchmal frage ich mich, ob sich unsere Mühe überhaupt lohnt. Wie sollen wir Edward jemals bezwingen, wenn wir einander bekämpfen?«
Brendan fragte sich, ob er William erzürnt hatte. Doch der Anführer lächelte. Schließlich lachte er sogar lauthals und klopfte auf Brendans Schulter. »Also findest du mich stur?«
»Gelegentlich.«
»So ist es nun mal. Wenn Robert de Bruce mit mir reitet, verliert er alles. Er besitzt zu viel, was in den Händen des englischen Königs liegt. Nun möchte er eine englische Erbin heiraten. Angeblich ist er in die Schönheit verliebt. Oft genug hat ein Mann sich selbst,
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