Geisel der Leidenschaft
wegzuwerfen. Warum leidet Ihr denn so schrecklich?«
»Weil ich - hier bin ...«
»Daran zweifle ich«, erwiderte er und ließ ihre Hände los.
»Wenn Ihr mich nicht in Ruhe lasst, werde ich ganz sicher leiden.« Sie versuchte, sich an ihm vorbeizuschieben und aufzustehen. Aber er drückte sie ins Kissen zurück, hielt ihre Schultern fest und neigte sich zu ihr hinab.
»Wollt Ihr wissen, was ich denke, Lady?«
»Nein, aber Ihr werdet's mir sicher verraten.«
»Aye. Ich glaube, Eure Familie verkauft Euch an einen Tattergreis.«
»Alain de Lacville ist ein wunderbarer Mann ...«
»Trotzdem klingt Eure Stimme gepresst.«
»Ihr habt keine Ahnung ...«
»O doch. Vor einigen Jahren lernte ich den alten Gentleman kennen, kurz nach der Schlacht von Falkirk. Aye, Ihr habt Recht, er ist gut und anständig. Und steinreich. Vielleicht dürft Ihr nach seinem Tod sogar einen
Mann heiraten, den Ihr Euch selbst aussucht. Aber womöglich wird er ganz langsam dahinsiechen, und Ihr bleibt seine treue, keusche Gemahlin, während Eure Jugend verblüht. Allzu viel dürft Ihr von Eurer Zukunft nicht erwarten. Und deshalb habt Ihr mich vorhin beobachtet.«
Entgeistert starrte sie ihn an. »O mein Gott! Ihr wisst gar nicht, wie lächerlich Ihr Euch macht! Euer Selbstwertgefühl ist genauso aufgebläht wie die Muskeln an Euren Armen. Ein Tattergreis, der langsam dahinsiechen wird? Gar nichts wisst Ihr über Alain. Er ist einer der großartigsten Menschen, die mir je begegnet sind ...«
»Immerhin weiß ich, dass Ihr ihn nicht heiraten wollt.«
Vermochte er ihre Gedanken zu lesen? »Eine Ehe ist ein Vertrag«, erklärte sie tonlos, »zwischen Königshäusern und Familien.«
»Und Ihr müsst Eure Pflicht erfüllen, Lady?«
»Ja!«
»Niemals werdet Ihr eine Familie gründen.«
»Wirklich nicht? Vielleicht bekomme ich ein Dutzend Kinder.«
»Das ist höchst unwahrscheinlich, weil Ihr an einen alten Mann verkauft werdet.«
»Und wenn's so ist, sind die Schotten schuld daran, die das Dorf von Clarin skrupellos verwüstet haben, wo unschuldige Bauern und Handwerker hungern.«
»Im ganzen Grenzland schwelt verbrannte Erde. Und solange Edward die Schotten zu unterjochen sucht, wird sich nichts an dieser traurigen Situation ändern.« Mit kalten, leidenschaftslosen Augen erwiderte er Eleanors Blick. »Aye, so ist es. Nur wenn Schottland seine Freiheit gewinnt, wird England in Frieden leben.«
»Wärt Ihr in der Zwischenzeit so gütig, mir meinen Frieden zu lassen, Sir?«
»Wie Ihr wünscht, Lady.« Brendan stand auf und nahm seine Kleider von der Armstütze eines Sessels. Den Rücken zu Eleanor gewandt, schlüpfte er in seine Hose und ein sauberes Leinenhemd. Dann schlang er den Tartan um seine Schultern und steckte ihn mit einer Silberbrosche zusammen. An der Tür wandte er sich noch einmal zu seiner Gefangenen um. »Vorerst seid Ihr meine Geisel, Santa Lenora! Und da wir uns noch öfter begegnen werden, dürft Ihr mich beobachten, so viel Ihr wollt.«
»Ich behalte meine Feinde stets im Auge.«
»Genau wie ich, Lady«, antwortete er lächelnd.
6. Kapitel
Am späten Nachmittag glitt die Wasp mit vollen Segeln dahin.
Eleanor hörte laute Stimmen und versuchte, die Tür zu öffnen, die glücklicherweise nicht verriegelt war. An Deck beobachtete sie, wie das norwegische Schiff, vermutlich gefolgt vom Piratenschiff, und die beiden schottischen Schiffe vor Anker gingen. Als sie die Gespräche der Männer belauschte, hörte sie trotz der norwegischen Sprache heraus, dass sie vor Calais ankerten. Der Name des Hafens sagte ihr nicht viel. Im Haus ihres Vaters war sie von mehreren Lehrern in Sprachen, Geografie, Geschichte und Religion unterrichtet worden, aber sie hatte ihre Heimat nie zuvor verlassen. Sicher zählten die Franzosen zu den zivilisierten Völkern, obwohl die französischen und englischen Könige einander dauernd an die Kehle gingen. Alain de Lacville war reich und mächtig, sein Name zweifellos in ganz Frankreich bekannt. Wenn sie in einem sicheren Hafen um Hilfe bat, würde sie zu ihm gelangen und der Gefahr entrinnen, den Schotten bei ihrer diplomatischen Mission als Schachfigur zu dienen.
Aufmerksam und unauffällig lauschte sie den Worten der Besatzung. Wallace blieb an Bord seines Schiffs und saß mit seinen Gefährten in der mittleren Kabine, wo sie ihr weiteres Vorgehen planten. Zunächst wollten sie dem französischen König die Nachricht schicken, sie seien in seinem Land eingetroffen und würden ihn um
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