Geisel der Leidenschaft
eine Audienz bitten. Eleanor wagte nicht, sich anmerken zu lassen, was sie beabsichtigte. Sonst würde die
Besatzung sofort Alarm schlagen. Wenn sie sich nicht sputete, würde sie bald von Feinden umzingelt sein. Dann wäre die Flucht unmöglich.
Sie schlüpfte in ihre leichteste Kleidung und steckte Gold- und Silbermünzen in eine Tasche an der Innenseite ihres Rocks. Auch den wertvollen, mit Rubinen und Smaragden verzierten keltischen Anhänger ihrer Mutter nahm sie mit. Wie sie längst herausgefunden hatte, waren die meisten Männer bestechlich und sicheres Geleit ließ sich erkaufen. Natürlich konnte sie kein Boot stehlen. Sie musste über Bord springen und an Land schwimmen - das war ihre einzige Hoffnung.
Nach einem kurzen stummen Gebet eilte sie aus der Kabine. An Deck lächelte sie die Seemänner an oder nickte ihnen ernsthaft zu - je nachdem, wie sie die einzelnen Besatzungsmitglieder einschätzte. Einige grinsten oder sangen vor sich hin, andere trugen finstere Mienen zur Schau. Als alle den Eindruck erweckten, sie wären beschäftigt, gab sie vor, sie würde wieder in ihre Kabine gehen. Und sobald ihr alle den Rücken kehrten, schwang sie sich über die Reling.
Das Wasser war eiskalt und sie schien endlos tief hinabzusinken, ehe sie auftauchte. Keuchend rang sie nach Luft, eine Gänsehaut überzog ihre Haut. Angstvoll spähte sie zum Schiff und fürchtete, man hätte ihre Flucht bereits entdeckt. Aber keiner der Männer alarmierte die Anführer, niemand folgte ihr. Entschlossen schwamm sie in Richtung der Küste.
Also hat Brendan of Graham seine Feindin gewaltig unterschätzt, dachte sie triumphierend. So wie damals bei Falkirk ...
Fröstelnd biss sie die Zähne zusammen. Sie hatte ihn nicht töten wollen. An jenem Tag hatte sie genug Blut fließen sehen - und den jungen Schotten nur zu seinem eigenen Schutz niedergeschlagen. Nun, mit ihrer Flucht würde sie ihm keinen Schaden zufügen. Gerade er musste wissen, wie viel die Freiheit bedeutete.
Die Küste war viel weiter entfernt, als Eleanor vermutet hatte. Vom Gewicht des Geldes und des Schmucks belastet, kam sie nur langsam voran. Und die Aktivitäten am Kai beunruhigten sie. Trotz der Kälte und ihrer Erschöpfung zwang sie sich, weiter südwärts zu schwimmen, weil sie nicht an einer Stelle auftauchen wollte, wo man sie womöglich nicht willkommen heißen würde. Welche Fremden ihr auch immer begegnen mochten, sie würde nicht den Mut verlieren und nach Paris gelangen, und zwar ohne die Begleitung ihrer Feinde.
Endlich kroch sie an einen einsamen Strand und blieb reglos liegen, zu ermattet, um sich zusammenzukrümmen und ein wenig zu erwärmen. Sie schloss die Augen und wartete, bis sich ihre rasenden Herzschläge verlangsamten.
Als sie ein wenig zu Kräften gekommen war und sich aufrichten wollte, erstarrte sie. Eine Klinge berührte ihren Hals. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen und sie wich vor dem Schwert zurück, das ein Fremder auf sie gerichtet hielt. Er trug einen pelzbesetzten Umhang über einem Wams, eine Hose aus feinem Tuch und weiche Lederstiefel. Sonst sah sie nicht viel von ihm, weil die breite Krempe seines Federhuts eine Ledermaske überschattete.
War er an Lepra erkrankt? Verbarg er sein entstelltes Gesicht?
Beinahe verschluckte sie sich an ihrem eigenen Atem und hustete. Dann stand sie langsam auf, die Schwertspitze an der Kehle. Da er beharrlich schwieg, fragte sie auf Französisch: »Warum bedroht Ihr mich? Ich habe Euch nichts getan.«
Immer noch wortlos, senkte er die Waffe und ging um sie herum. Sie wagte ihm nicht den Rücken zu kehren. Als sie sich umwandte, merkte sie, dass er nicht allein war. Zwei andere Männer stiegen über die Klippen zum Strand herab und alle drei umringten Eleanor.
»Hört mich an!« Die Hände geballt, bemühte sie sich um einen gebieterischen Ton und eine kühle Gelassenheit, die sie keineswegs empfand. Es war nicht so leicht, Mut zu zeigen, wenn man fror und vor Kälte zitterte und immer noch das Salz des eisigen Meeres auf den Lippen schmeckte. »Soeben bin ich hier eingetroffen. Ich möchte einen der mächtigsten Männer in König Philipps Reich aufsuchen. Falls mir etwas zustößt, wird er Euch jagen und gnadenlos bestrafen. Versteht Ihr mich?«
Nach einer langen, beängstigenden Pause trat der Maskierte vor.
»Ich habe Geld!«, schrie sie. »Wenn Ihr mich in Ruhe lasst, bezahle ich Euch!«
Zu ihrer Erleichterung steckte er das Schwert in die Scheide.
»Bitte, Ihr müsst mir
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