Geiseldrama in Dribbdebach (German Edition)
Und Johnny genehmigte sich einen weiteren heimlichen Schluck und wurde von Herrn Schweitzer ausnahmsweise dafür beneidet. So ein Schnaps, egal welcher Geschmacksrichtung, der ein behagliches Brennen von der Speiseröhre bis in den Magen verursachte, wäre gerade jetzt, da er dem Tod ins Antlitz schaute, was Feines. Was außerordentlich Feines sogar.
Als er den vertrauten Gegenstand im Rücken spürte, setzte er sich in Bewegung. Abermals öffnete Ludger die Schiebetür. Und dann sah er das in Würde gealterte Gesicht seines Freundes Hollerbusch, der, von den Scheinwerfern zweier leerer Polizeiautos angestrahlt, irgendwie verloren vor dem Laderaum des Lieferwagens der Wurstboutique Pomp stand, wie die Spezialitätenmetzgerei ob ihrer horrenden Preise im Volksmund auch genannt wurde.
„Ist das jetzt Ihr Freund?“
„Ja. Das ist der Apostel.“
„Dann geben Sie ihm zu erkennen, daß er jetzt die Sachen bringen soll.“ Der Lauf der Beretta war deutlich durch den Mantel zu spüren.
„Dazu muß ich aber die Tür öffnen.“
„Kein Problem. Ich bleib hinter Ihnen.“
Vorsichtig, als löse er den Zünder einer 50-Kilo-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg, zog er an dem hölzernen Griff der Eingangstür, bis sich das Schnappschloß abrupt öffnete. Schwere Regenschauer peitschten ihm sofort ins Gesicht. Das kam so überraschend für ihn, zumal der Wind im selben Augenblick die Tür, die sich ihm da als Windfang bot, packte, daß seine zweihundert Pfund Lebendgewicht vorübergehend mit dem Equilibrium kämpften. So ein Geiseldasein war halt kein Zuckerschlecken. Ludger jedoch hatte das Unheil kommen sehen und Herrn Schweitzer von hinten gestützt, bis dieser seine Standfestigkeit wiedererlangt hatte. Der Mantel blähte sich wie ein Segel in voller Fahrt, und der Bankräuber fand dahinter optimalen Sichtschutz.
„Guntram, du kannst das Essen jetzt bringen“, schrie Herr Schweitzer gegen das Getöse des Windes an.
Der Apostel drehte sich um, packte den Karton und kam auf ihn zu. Derweil suchte Herr Schweitzer auf den Dächern und in den Fenstern nach irgendwelchen unvermeidlichen Scharfschützen. Gegenüber sah er im zweiten Stock sich etwas hinter einer schwach erleuchteten Scheibe bewegen. Das könnte das Zimmer sein, welches die Medien okkupiert hatten, wie aus dem Telefonat von Popic mit Melibocus hervorgegangen war. Doch weiter ließ sich nichts ausmachen, zu miserabel waren die Sichtverhältnisse. Allem Anschein nach hatte es auch extrem abgekühlt. Ihn fröstelte gar sehr.
„Hallo, Simon. Was machst du denn hier? Wie geht’s denn so?“ fragte Guntram Hollerbusch, als er den Karton vor ihm auf den Boden stellte. Mit den Füßen schob ihn Herr Schweitzer nach hinten.
„Ach, geht so. Wie das Leben halt so spielt, mal so, mal so“, erwiderte er betont lässig, um den Apostel nicht unnötig zu belasten. Außerdem entsprach dies ja der Wahrheit, wenn auch einer eher abstrakten. Ein besserer Ort des Verweilens wäre gewiß seine heimelige Bettstatt mit Blick auf die Frankfurter Skyline gewesen, doch hätte es ihn im Leben auch schlimmer treffen können. Als indischen Bauer zum Beispiel, der beim letzten Unwetter seine komplette Ernte verloren und sich heillos verschuldet hatte, und nun mit Sack und Pack und schwerkranker Frau und drei Kindern, die es zu ernähren galt, auf dem Weg nach Bombay, heute Mumbai, zu einem entfernten Vetter war, der ihn aus dem Elend befreien sollte, und der von seinem Kommen noch gar nichts ahnte. So gesehen war er in den Fängen Herrn Trinkleins noch gut aufgehoben.
„Möge Gott Euch beschützen“, sagte der Apostel abschließend und ging von dannen.
In Friedenszeiten hätte Herr Schweitzer jetzt eine theologische Grundsatzdiskussion angefangen, doch waren die Zeiten alles andere als friedlich.
Rückwärts gehend zog man sich zurück, wobei Herr Schweitzer den verdammt schweren Karton trug. Als sich die Schiebetür wieder geschlossen hatte, seufzte er hinlänglich, denn erstmals seit dem Urknall, und das ist immerhin schon fünfzehn Milliarden Jahre her, hatte Herr Schweitzer eine derart große Gefahr überstanden.
Das Essen duftete köstlich. Er mußte sich ernstlich zusammenreißen, um nicht grunzend darüber herzufallen. Als erstes verteilte er die Französische Zwiebelsuppe samt Besteck und dann die Hauptspeisen. Stilvoller wäre es natürlich gewesen, die Gerichte nacheinander zu servieren, doch sagte einem schon der gesunde Menschenverstand, daß man in der Not auch
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