Geiseldrama in Dribbdebach (German Edition)
beider Augen. Die Japanerin überreichte ihrem Freund einen in dunkelblaues Geschenkpapier eingewickelten Bildband.
Herr Schweitzer fragte sich, ob in Asien der Geburtstag einen ähnlichen Stellenwert besaß wie hierzulande, oder ob sich die beiden einen Spaß daraus machten, die hiesigen Gebräuche auf ihrer Europareise nachzuahmen. Jedenfalls erkannte er den Schriftzug History of modern art auf dem Umschlag. Oma Hoffmann war die nächste, die gratulierte, dann taten es ihr die anderen gleich.
Es hatte aufgehört zu regnen, und wenn Herr Schweitzer den zarten Lichtstreifen am oberen Rand der Eingangstür richtig deutete, schienen sich auch die Wolken verzogen zu haben. Und nun, da er darauf achtete, peitschte auch kein Ast mehr gegen die Scheibe.
Kogyo blätterte voller Überschwang in seinem Geschenk und strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Von Zeit zu Zeit fuhr sein Finger wohl über eine besonders gut gelungene Fotographie und kommunizierte mit Yoko in einer Art, wie sie nur Verliebten eigen ist.
Dann stand auch der Bankräuber Ludger Trinklein auf, beziehungsweise kam hinter dem Bankschalter zum Vorschein. Ob er geschlafen hatte oder nicht, war ihm nicht anzusehen. Seine erste Amtshandlung bestand darin, die Geiseln von den Handschellen zu befreien. Das Seil rollte er zusammen. Den Hardcoretraveller ließ er schlafen. Herr Schweitzer hegte den Verdacht, daß dieser schon wach war und sich bloß hinter einem taktischen Schlaf verbarg, um die Welt noch für ein Weilchen auf Distanz zu halten.
Nach und nach suchte man die Toilette auf. Für mehr als eine Katzenwäsche fehlten die Utensilien.
Als alle wieder beisammen waren, schenkte Ludger Kaffee aus. Das Frühstück bestand aus Bananen und Keksen aus dem Container. Herr Schweitzer fragte sich, ob da vielleicht noch ein Schwein drin war, das zum Mittagessen gegrillt werden sollte. Wundern würde es ihn nicht mehr.
Aber etwas in der Stimmung war im Vergleich zum Vortag anders. Herr Schweitzer brauchte eine Weile, bis er drauf kam. Zuerst hatte er die frühe Uhrzeit dafür verantwortlich gemacht, schließlich gibt es eine Menge Menschen, mit denen in Herrgottsfrühe nicht gut Kirschen essen ist. Aber das war es nicht. Wenn man das Morgenmuffeltum mal außer acht ließ, so blieb immer noch eine unangenehme Aggressivität übrig, die sich, da war sich Herr Schweitzer ziemlich sicher, gegen den Bankräuber richtete. Er selbst nahm sich da nicht aus. Die Filialleiterin hatte gestern abend die Saat für diesen Prozeß gesät, als sie aus dem Nähkästchen plaudernd Ludgers Pädophilie erwähnte. Ein Bankraub ist eine Sache, dafür konnte man zur Not noch Verständnis aufbringen, aber sich an Kindern vergehen, das stand für fast alle Menschen außerhalb jedweder Vorstellungskraft. Herr Schweitzer erinnerte sich an den Bachmeierfall, bei dem 1981 die Mutter einer mißbrauchten und getöteten Tochter deren Mörder im Lübecker Schwurgerichtssaal erschossen hatte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte Frau Marianne Bachmeier für den Rest ihres Lebens vom Staat monatlich soviel Geld überwiesen bekommen, wie die Unterbringung in der Haftanstalt, die dann ja hinfällig geworden war, den Steuerzahler gekostet hätte. Aber Herrn Schweitzer fragte man nicht. Auch nicht, wenn er mit dem überwiegenden Teil der Volksmeinung konform ging, was er ohnehin schon selten genug tat. Statt dessen hatte man die Selbstjustitiarin hinter Gitter gesteckt. Aber in diesem Land Opfer sein heißt, sich besser gleich prophylaktisch eine Kugel in den Kopf zu schießen, wenn das nicht schon der Täter erledigt hatte, dann erspart man sich zumindest die zweite, noch viel schmerzlichere Niederlage vor Gericht.
So kam es, daß der ehemalige Sympathieträger Trinklein sich aller Sympathien beraubt am Pranger wiederfand. Doch offenbar kümmerte ihn das wenig, mit Appetit aß er die Kekse und schlürfte seinen Kaffee. Abgerechnet wird am Schluß, schien seine Devise zu sein.
Ganz ohne Vorwarnung war Herr Schweitzer von den Socken. „Dasda, da, dasda ...“ Er hatte in dem Bildband, den Kogyo zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, ein Bild entdeckt, das er kannte. Zwar verkehrt herum, aber trotzdem. „Das da ist meine Mutter. My mother“, wurde er nun schon verständlicher.
Die Japaner registrierten, daß dieser komische, aufgeregte Herr, der gute Anlagen zum Sumo-Ringer aufwies, ihnen mit seinem Rumgefuchtel etwas sagen wollte, das mit dem aufgeschlagenen Bild zusammenhing, was aber My
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