Geiseldrama in Dribbdebach (German Edition)
mother explizit bedeuten sollte, war fast unmöglich zu eruieren, schließlich zeigte die Abbildung eine Skulptur. Und selbst bei aller Phantasie war es nicht möglich, sich diesen seltsamen Kauz als Sohn einer Skulptur vorzustellen. Hier herrschte offenbar ein Mißverständnis. Und als höfliche Japaner, die sie nun mal waren, wollten sie dies auch schnellstmöglich aus der Welt schaffen und reichten ihm den Bildband.
Tractor weeps for harvest, stand dort unter der wahrlich schönen Komposition einer Künstlerseele. Und diese Künstlerseele hatte seiner verstorbenen Mutter gehört, die vor vielen Jahren mit der Skulptur Traktor beweint Ernte Weltruhm erlangte. Weiter war zu lesen, daß diese Aufnahme eine Kopie zeigte, die in einem japanischen Freizeitpark in der Nähe der Hafenstadt Kobe aufgestellt war. Das war Herrn Schweitzer neu, aber nicht gerade sensationell, denn die dortige Bevölkerung kopierte nun mal gerne. Nicht umsonst sahen die Japaner alle gleich aus.
Als Yoko zu verstehen glaubte, was der Dicke ihr sagen wollte, fragte sie sicherheitshalber nach: „It’s really your mother, Rosamunde Schweitzer?“
„Yeah, yeah, yeah. My mother. Look.“ Umständlich fischte Herr Schweitzer aus seinem Portemonnaie seinen Perso hervor und gab ihn Yoko.
Gemeinsam mit ihrem Freund studierte sie das Dokument. „I can’t believe it. She’s truly your mother. Rosamunde Schweitzer is very famous in Japan, you know. Every student of modern art knows her.“
Herr Schweitzer war, obwohl er ja recht wenig dafür konnte, Sohn zu sein, geschmeichelt. Viel fehlte nicht, und er hätte sich eine Strähne aus der Stirn gefegt, um einer virtuellen Kamera möglichst viel von seinem Gesicht zu bieten. Das war natürlich megakindisch, und er bemerkte es auch. Ergo räusperte er sich und sprach in normalem Tonfall: „I did not know yet, that the japanese people know my mother.“ Das war natürlich etwas übertrieben, vom Volk war nie die Rede, aber das kam davon, daß Herr Schweitzer in jungen Jahren – man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen, daß er auch mal jung war – anstatt den Englischunterricht zu besuchen, sich lieber im Schulhof bei den Röcken herumtrieb. Andererseits konnte er infolgedessen prima knutschen, wie von Maria von der Heide zu hören war.
„Also, ich hab von Rosamunde Schweitzer noch nie was gehört“, fing Uzi schon wieder mit den Scherereien an, wo man doch noch nicht mal eine dreiviertel Stunde wach war.
Herr Schweitzer sorgte für eine Kunstpause, ehe er knapp erwiderte: „Das wäre auch schon höhere Allgemeinbildung.“
„Na, na, na, Kinderchen“, fuhr Oma Hoffmann dazwischen, „jetzt hört aber auf damit. Wollen wir nicht lieber dafür sorgen, daß man dem Geburtstagskind und seiner Freundin die Freiheit schenkt? Ich finde, das wäre mehr als eine humanitäre Geste.“
Herr Schweitzer errötete leicht, was eigentlich nie vorkam, denn auf so dummes Gewäsch wie das von Uzi ging er sonst nie ein. Was war nur los mit ihm? Er schaute zu dem japanischen Pärchen, dann auf Popic, der leicht nickte und schließlich zum Geiselnehmer, der zumindest so tat, als habe er Oma Hoffmanns Sätze nicht vernommen.
In diesem Moment begann sich der dem Verfall preisgegebene Traveller zu rühren. Sein Gesicht ließ einen unwillkürlich an Bettwäsche denken, die nach dem Kochwaschgang ein paar Tage in der Maschine vergessen worden war. Johnnys Blick wanderte von Schicksalsgenosse zu Schicksalsgenosse zu Bankräuber, und Herr Schweitzer konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß dieses heruntergekommene Individuum hier völlig fehl am Platze war. Aber waren sie das nicht alle? Gehörten die Japaner nicht auf Europareise, Oma Hoffmann zur Vollversammlung der Grauen Panther, Theresa Trinklein-Sparwasser zu ihrer Tochter, er selbst zu seiner Liebsten Maria und Uzi unter die Dusche? Nur Popic gehörte kraft seines Berufes in den Brennpunkt des Geschehens. Alles in allem war dies ein ganz schön niederschmetterndes Ergebnis, fand Herr Schweitzer, aber andere Geiseldramen hatten auch kein besseres vorzuweisen vermocht.
Es war Oma Hoffmann, die sich erneut an Ludger wandte: „Wie sieht es denn nun aus, junger Mann, kann man die Japaner nicht auf freien Fuß setzen, dann könnte dieser junge Herr zu Mittag sein geliebtes Sushi essen?“
„Geht in Ordnung. Um neun rufen die Bullen an, und mit denen sprech ich das dann ab.“
So einfach ist das also. Das hätte nicht nur Herr Schweitzer nicht
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