Geisterbahn
ich hoffe, daß sie nichts davon erfährt.«
»Wovon? Wofür brauchst du denn so viel Schotter?« Amy wollte ihr Geheimnis lüften, doch blieben ihr die Worte im Hals stecken. Sie nippte an der Coke und verschaffte sich damit die Zeit, in Ruhe darüber nachzudenken, ob es klug war, Liz von ihrem Elend zu berichten. »Amy?« Im Dive war es ziemlich laut: das Klicken, Piepen und Klingeln der Flipper-Automaten, dröhnender Rock and Roll in der Jukebox, ein Plätschern von Stimmen, gelegentlich aufbrandendes Gelächter. »Amy, was ist los?« Sie errötete unwillkürlich. »Es ist wohl albern von mir, aber ich ... ich ... schäme mich einfach zu sehr, um es dir zu sagen.«
»Das ist wirklich albern. Du kannst mir alles sagen. Ich bin deine beste Freundin, oder?« Ja.« Ja, es stimmte: Liz Duncan war ihre beste Freundin. Um nicht zu sagen, so ziemlich ihre einzige Freundin. Amy war nicht oft mit Mädchen ihres Alters zusammen. Sie hing fast ausschließlich mit Liz herum, und das war eigentlich recht verwunderlich. Sie und Liz unterschieden sich in vielerlei Hinsicht: Amy lernte angestrengt und war gut in der Schule; Liz waren Schulnoten völlig gleichgültig. Amy wollte aufs College gehen; Liz verabscheute diese Vorstellung. Amy war introvertiert, gelegentlich sogar richtig schüchtern; Liz war kontaktfreudig, kühn, manchmal sogar richtig dreist. Amy las gern Bücher; Liz zog Filme und Klatschzeitungen vor. Obwohl Amy gegen die übertriebene religiöse Inbrunst ihrer Mutter rebellierte, glaubte sie noch an Gott; aber Liz sagte, die ganze Vorstellung von Gott und dem Leben nach dem Tode würde sie abnerven. Amy gab nicht viel um Schnaps oder Pot und trank oder rauchte nur, wenn sie Liz gefallen wollte; aber Liz sagte, falls es einen Gott gäbe - und sie versicherte Amy, dem sei nicht so -, sei er es schon wert, verehrt zu werden, weil er Alkohol und Marihuana erschaffen habe.
Obwohl die beiden Mädchen in vielerlei Hinsicht grundverschieden waren, hatte ihre Freundschaft Bestand. In erster Linie, weil Amy hart daran arbeitete. Sie tat so ziemlich das, was Liz tun wollte, sagte das, was Liz ihrer Meinung nach hören wollte. Sie kritisierte Liz niemals, heiterte sie immer auf, lachte immer über ihre Scherze und war fast immer einer Meinung mit ihr. Amy hatte sehr viel Zeit und Energie in ihre Freundschaft gesteckt, aber nie aufgehört, sich zu fragen, warum ihr so viel daran lag, Liz Duncans beste Freundin zu sein.
Als Amy in der vergangenen Nacht im Bett lag, hatte sie sich gefragt, ob sie sich im Unterbewußtsein gewünscht hatte, daß Jerry Galloway ihr einen Braten in die Röhre schob, nur um ihre Mutter zu ärgern. Das war ein bestürzender Gedanke gewesen. Nun fragte sie sich, ob sie aus einem ähnlich törichten Grund die Freundschaft mit Liz Duncan aufrecht hielt. Liz hatte (und genoß) den schlechtesten Ruf an der Schule; sie war unflätig und respektlos und promiskuitiv. Die Freundschaft mit ihr war für Amy vielleicht nur ein weiterer Akt der Rebellion gegen Mamas traditionelle Werte und Moralvorstellungen.
Der Gedanke, daß sie ihre Zukunft vielleicht nur verpfuschte, um ihrer Mutter Schmerz zuzufügen, erschütterte Amy. Wenn das stimmte, saßen der Groll und Zorn, die sie ihrer Mutter entgegenbrachte, viel tiefer, als sie bislang geahnt hatte. Das hieß auch, daß sie nicht die Kontrolle über ihr Leben hatte; es bedeutete, daß sie von einem schwarzen Haß und einer verzehrenden Verbitterung getrieben wurde, die sie nicht beherrschen konnte. Diese Vorstellung machte ihr dermaßen zu schaffen, daß sie sich weigerte, sie länger in Betracht zu ziehen; sie verdrängte sie schnell wieder.
»Also?« fragte Liz. »Willst du mir sagen, was los ist?«
Amy blinzelte. »Äh ... na ja ... ich habe mit Jerry Schluß gemacht.«
»Wann?«
»Gestern abend.«
»Nachdem ihr den Abschlußball verlassen habt? Warum?«
»Er ist ein blöder, gemeiner Mistkerl.«
»Das ist er schon immer gewesen«, sagte Liz. »Aber das hat dich doch vorher auch nicht gestört. Warum so plötzlich? Und was hat das damit zu tun, daß du drei- oder vierhundert Dollar brauchst?«
Amy schaute sich um, aus Angst, jemand könnte sie belauschen. Sie saßen am letzten Tisch an der Wand; hinter ihnen war also niemand. Auf der anderen Seite maßen sich hinter Liz vier Football-Fans lautstark im Armdrücken. Am Nebentisch saßen zwei Pärchen, Intellektuelle von besonderen Gnaden, und sprachen eindringlich über aktuelle Filme; sie
Weitere Kostenlose Bücher