Geisterbahn
war, im Moment der Entdeckung aber nicht mehr.
Er hörte, wie der Duschvorhang auf seiner Metallstange zurückrasselte: Schnicker-schnicker-schnick.
Er riß die Augen auf.
Der Vorhang war noch geschlossen, hing schlaff und unbewegt da. Conrad hatte sich das Geräusch nur eingebildet.
Er stieß pfeifend den Atem aus.
Bring es hinter dich, sagte er sich wütend.
Er fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen, stieß
sich von dem Türpfosten ab und trat zur Duschkabine.
Noch einmal hielt er inne, hörte, wie sein Herz schneller schlug. Er ergriff den Vorhang mit einer Hand und zog ihn schnell beiseite.
Die Kabine war leer.
Wenigstens war die Leiche diesmal beseitigt worden.
Dafür mußte er dankbar sein. Conrad haßte es, sich mit den widerlichen Überresten befassen zu müssen.
Natürlich würde er in Erfahrung bringen müssen, was mit der neuesten Leiche geschehen war. Wenn sie nicht weit genug vom Kirmesgelände weggebracht worden war, um den Verdacht der Polizei vom Jahrmarkt abzulenken, würde er bald wieder hinausgehen und sie wegschaffen müssen.
Er wandte sich von der Duschkabine ab und schickte sich an, das blutige Badezimmer zu säubern.
Fünfzehn Minuten später brauchte er dringend etwas zu trinken. Er holte ein Glas, einen Behälter mit Eiswürfeln und eine Flasche Johnny Walker aus der Küche. Er trug diese Gegenstände in das große Schlafzimmer, setzte sich auf das Bett und schenkte sich zwei, drei Fingerbreit Scotch ein. Von drei Kissen gestützt, setzte er sich zurück, nippte an dem Whiskey und versuchte, sich wieder so weit zu beruhigen, daß er wenigstens das Glas halten konnte, ohne ständig die Eiswürfel darin zum Klirren zu bringen.
Auf dem Nachttisch lag eine Kopie des Zeitplans der Big American Midway für diese Saison. Sie war oft benutzt worden und ziemlich zerfleddert. Conrad ergriff sie.
Von Anfang November bis Mitte April war Saisonpause, und BAM ließ, wie die anderen Jahrmärkte auch, die Schlagläden herunter. Die meisten Schausteller, Leute von allen Unternehmen, überwinterten in Gibsonton, Florida -bei den Showleuten als >Gibtown< bekannt -, wo sie eine Art ganzjährige Gemeinde für ihresgleichen gegründet hatten, ein Shangri-La für Schausteller, eine Zuflucht, einen Ort, wo die bärtige Dame und der Mann mit drei Augen in der Kneipe um die Ecke ein Glas Bier trinken konnten, ohne daß jemand sie anstarrte. Aber von April bis Oktober war Big American unablässig auf Reisen, zog jede Woche in eine neue Stadt und löste die zerbrechlichen Wurzeln sechs Tage später schon wieder.
Während Conrad Straker an dem Scotch nippte, las er den Terminplan von Big American, ließ den Blick auf jeder Zeile verweilen, kostete die Namen der Städte aus, versuchte, bei einem eine übersinnliche Reaktion zu erzielen, herauszufinden, in welchem Ort er (endlich) Ellens Kindern begegnen würde.
Er hoffte, daß sie mindestens eine Tochter hatte. Er hatte auch Pläne für ihren Sohn geschmiedet, falls sie einen Sohn haben sollte, aber für ihre Tochter hatte er ganz besondere Pläne.
Nachdem er sich mehrmals nachgeschenkt hatte, spürte er allmählich, daß der Scotch die gewünschte Wirkung erzielte. Doch wie immer beruhigten die Namen der Städte auf dem Terminplan seine Nerven wesentlich wirkungsvoller, als der Whiskey es je vermochte.
Schließlich schob er die Liste beiseite und schaute zu dem Kruzifix hoch, das über dem Fuß des Bettes an der Wand befestigt war. Es hing verkehrt herum. Und das leidende Gesicht Christi war sorgfältig schwarz bemalt worden.
Auf dem Nachttisch stand eine Votivkerze in einem durchsichtigen Glasbehälter. Conrad ließ sie rund um die Uhr brennen. Die Kerze war schwarz; das brennende Wachs erzeugte eine seltsame dunkle Flamme.
Conrad Straker war ein frommer Mann. Er betete regelmäßig jeden Abend. Aber er betete nicht zu Gott.
Vor über zwanzig Jahren, kurz nachdem Zena sich von ihm hatte scheiden lassen, war er zu einer satanischen Religion konvertiert. Er dachte mit großem Vergnügen über den Tod nach, sehnte sich danach, in die Hölle zu kommen.
Er wußte, daß das sein Schicksal war. Die Hölle. Sein rechtmäßiges Zuhause. Er hatte keine Angst davor. Dort würde er Frieden finden. Satans Lieblingsministrant. Er gehörte in die Hölle. Er hatte es verdient, dort aufgenommen zu werden. Schließlich hatte er ja seit diesem tragischen, flammenerfüllten Heiligabend, als er zwölf Jahre alt gewesen war, in der einen oder anderen Hölle
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