Geisterbahn
Hamburger zu Mittag gegessen, der dir nicht bekommen sei. Geh auf dein Zimmer und halte dich von ihm fern. Je weniger er von dir sieht, desto unwahrscheinlicher ist es, daß er Verdacht schöpft.«
»In Ordnung, Mama.«
Amy betrat das Haus und stellte fest, daß ihr Vater noch nicht aus der Kanzlei zurückgekommen war. Joey war zum Spielen bei Tommy Culp. Sie war allein.
Sie zog einen Schlafanzug und einen Bademantel an und rief dann Liz Duncan an. »Es ist vorbei.«
»Wirklich?« fragte Liz.
»Ich bin gerade nach Hause gekommen.«
»Und du bist ausgekratzt?«
»Mußt du es so ordinär ausdrücken?« fragte Amy.
»Aber das tun sie nun mal«, erwiderte Liz unbekümmert. »Sie kratzen dich aus. Wie fühlst du dich?«
»Ausgekratzt«, gestand Amy traurig ein.
»Tut das Bäuchlein weh?«
»Ein wenig. Und ich habe ... da unten Schmerzen.«
»Du meinst, du hast 'ne wunde Möse?« fragte Liz.
»Mußt du so reden?«
»Wie?«
»So grob.«
»Das ist eine meiner bezauberndsten Eigenschaften -
daß ich überhaupt keine Hemmungen habe. Hör zu, wie fühlst du dich, von deinem Bauch und deiner Möse mal abgesehen?«
»Sehr, sehr müde.«
»Das ist alles?«
»Ja. Es war leichter, als ich befürchtet hatte«, gestand Amy.
»Mensch, da bin ich aber erleichtert. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, Kleine. Große, große Sorgen.«
»Danke, Liz.«
»Hängst du den Sommer über fest?«
»Nein. Ich dachte, ich würde eine Zeitlang Stubenarrest kriegen, aber Mama sagt, ihr ist egal, was ich tue. Sie will nichts mehr mit mir zu tun haben.«
»Das hat sie gesagt?«
»Ja.«
»Mein Gott, das ist ja toll!«
»Wirklich?« fragte Amy.
»Natürlich, du dumme Nudel. Jetzt kannst du nach deinen eigenen Regeln leben. Du bist frei, Kleine!« Liz setzte einen falschen Südstaaten-Dialekt auf: »Dein Massah dich haben freigelassen, Kind!«
Amy lachte nicht. »Im Augenblick liegt mir nur an einer Mütze Schlaf«, sagte sie. »Ich konnte die ganze Nacht kein Auge zudrücken, und die Nacht davor auch kaum. Und mit dieser Sache heute ... Na ja, ich schlafe bald im Stehen ein.«
»Klar«, sagte Liz. »Das verstehe ich. Ich hab' auch nicht vor, noch 'ne Stunde mit dir zu quatschen. Ruh dich aus.
Ruf mich morgen an. Dann machen wir Pläne für den Sommer. Das wird 'ne tolle Sache, wir machen in unserem letzten gemeinsamen Sommer so richtig einen drauf. Diese Zeit werden wir nie vergessen. Ich hab' schon ein paar Jungs für dich ausgeguckt.«
»Ich glaube, nach Jungs steht mir im Augenblick überhaupt nicht der Sinn«, sagte Amy.
»Klar, in den nächsten zehn Minuten nicht«, pflichtete Liz ihr bei. »Aber nachdem du dich ein paar Wochen lang erholt hast, bist du schnell wieder richtig drin.«
»Das glaube ich nicht, Liz.«
»Aber sicher doch. Um Gottes willen, du willst doch keine Nonne werden, oder? Dann und wann brauchst du einen steifen Schwanz, Kleine. Du brauchst ihn genauso dringend wie ich. In dieser Hinsicht sind wir genau gleich.
Keiner von uns kommt lange ohne einen Kerl aus.«
»Das werden wir ja sehen«, sagte Amy.
»Aber dieses Mal«, sagte Liz, »wirst du tun, was ich dir sage. Du wirst dir die Pille verschreiben lassen.«
»Ich glaube wirklich nicht, daß ich sie brauche.«
»Das hast du beim letzten Mal auch geglaubt, du Dummerchen. «
Ein paar Minuten später kniete Amy in ihrem Zimmer neben dem Bett nieder, um ihre Gebete zu sprechen. Aber nach zwei oder drei Minuten hörte sie auf, weil sie zum erstenmal in ihrem Leben das Gefühl hatte, Gott würde ihr nicht zuhören. Sie fragte sich, ob er ihr je wieder zuhören würde.
Im Bett weinte sie sich in den Schlaf, und niemand weckte sie am nächsten Morgen zum Frühstück oder für die Messe. Als sie die Augen wieder öffnete, war es elf Uhr am Sonntag morgen, und vereinzelte weiße Wolken rasten wie große Segelschiffe über den meeresblauen Himmel hinter ihrem Fenster. Sie hatte achtzehn Stunden lang geschlafen.
Soweit sie sich erinnern konnte, war das erst das zweite Mal in ihrem Leben, daß sie die Sonntagsmesse verpaßt hatte. Das erste Mal war sie neun Jahre alt gewesen und hatte im Krankenhaus gelegen und sich von einer Notoperation am Blinddarm erholt. Sie hatte am Montag entlassen werden sollen, und ihre Mutter hatte mit dem Arzt gestritten und verlangt, er solle sie einen Tag eher entlassen, damit sie zur Kirche gehen könne, aber der Arzt hatte gesagt, die Kirche sei nicht gerade der beste Ort für ein Kind, das sich von einer Operation
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