Geisterbahn
einsamen Ort bringen, an dem man ihre Schreie nicht hörte, und sie dann Gunther überlassen.
Er würde Gunther ermutigen, ein Katz-und-Maus-Spiel mit ihnen zu treiben. Er würde Gunther drängen, sie mehrere Tage lang zu foltern, immer wieder sexuell zu benutzen, ganz gleich, ob es sich um Jungen oder Mädchen handelte, und sie dann, erst dann, zu zerreißen.
Conrad saß hinten im Taxi in der Dunkelheit und lächelte. Das tat er heutzutage nur noch selten. Er hatte seit langer Zeit nicht mehr gelacht. Ihn amüsierten nicht die Dinge, die andere Personen erheiterten; nur Tod, Vernichtung, Grausamkeit und Verdammnis - das dunkle Werk des Gottes des Bösen, den er verehrte - konnten ein Lächeln auf seine Lippen bringen. Seit seinem zwölften Lebensjahr hatte er keine Freude oder Befriedigung aus unschuldigen Vergnügungen ziehen können.
Nicht mehr seit jener Nacht.
Dem Heiligabend.
Vor vierzig Jahren ...
Die Familie Straker hatte ihr Haus in der Weihnachtszeit immer von oben bis unten geschmückt. Der Tannenbaum im Wohnzimmer reichte bis an die Decke. Jedes Zimmer war mit Kränzen und Tannenzweigen geschmückt, mit Kerzen, Krippenbildern, Lametta, Weihnachtskarten von Freunden und Verwandten.
In dem Jahr, da Conrad zwölf wurde, fügte seine Mutter der gewaltigen Familiensammlung von Weihnachtsschmuck ein neues Stück hinzu. Es war eine gläserne Öllampe; die Flamme wurde in den eckigen Wänden der Lampe reflektiert und gebrochen, so daß man Hunderte Feuer statt nur eines sah.
Der junge Conrad war von der Lampe fasziniert, durfte sie aber nicht anfassen, weil er sich vielleicht verbrennen würde. Er wußte, er konnte die Öllampe sicher handhaben, konnte seine Mutter aber nicht davon überzeugen.
Als alle anderen schliefen, schlich er also ins Erdgeschoß hinunter, zündete ein Streichholz an, dann die Lampe und stieß sie unabsichtlich um. Brennendes Öl spritzte auf den Wohnzimmerboden. Zuerst war er überzeugt, das Feuer mit einem Sofakissen ausschlagen zu können; doch als ihm eine Minute darauf klar wurde, wie töricht diese Hoffnung war, war es zu spät.
Er überstand den Brand als einziger ohne jeden Kratzer.
Seine Mutter starb in den Flammen. Seine drei Schwestern starben. Seine beiden Brüder ebenso. Papa starb nicht, wurde aber für sein ganzes Leben gezeichnet - seine Brust, der linke Arm, der Hals, die linke Gesichtshälfte waren vernarbt.
Der Verlust der Familie rief bei Papa geistige und gefühlsmäßige Narben hervor, die genauso schrecklich wie seine körperlichen Verletzungen waren. Er konnte die Vorstellung nicht akzeptieren, daß Gott, an den Papa hingebungsvoll glaubte, zugelassen hatte, daß ein solch tragischer Unfall sich ausgerechnet am Heiligen Abend ereignete. Er wollte nicht glauben, daß es ein Unfall war. Er bildete mehr und mehr die Überzeugung aus, daß Conrad böse war und das Feuer absichtlich gelegt hatte.
Von diesem Tag an bis zu jenem mehrere Jahre später, da Conrad schließlich davonlief, war sein Leben die reinste Hölle. Der Vater ließ ihm keine Ruhe und machte ihm ständig Vorwürfe. Sein Sohn durfte nicht einen Augenblick vergessen, was er angerichtet hatte. Der Vater erinnerte ihn hundertmal am Tag daran. Conrad atmete Schuld und schwelgte im Haß auf sich selbst.
Er war nie imstande gewesen, vor seiner Schande davonzulaufen. Sie kehrte jede Nacht zu ihm zurück, in seinen Träumen, selbst jetzt noch, da er zweiundfünfzig Jahre alt war. Seine Alpträume waren voller Feuer und Schreie und dem vernarbten, haßverzerrten Gesicht seines Vaters.
Als Ellen schwanger wurde, war Conrad überzeugt gewesen, daß Gott ihm endlich eine Chance gab, seine Schuld abzuzahlen. Indem er eine Familie gründete, indem er seinen Kindern ein wunderbares Heim voller Liebe und Glück schenkte, würde er vielleicht für den Tod seiner Mutter, seiner Schwestern und Brüder büßen können. Als Ellens Bauch von Monat zu Monat dicker wurde, wuchs Conrads Hoffnung, daß das Baby der Anfang seiner Erlösung war.
Dann wurde Victor geboren. Anfangs, nur ein paar Stunden lang, dachte Conrad, Gott würde ihm eine noch schwerere Strafe aufbürden. Statt ihm Gelegenheit zu geben, für seine Sünden zu büßen, schien Gott sie ihm unter die Nase zu halten, ihm mit eindeutigen Begriffen zu sagen, daß er niemals Gnade und geistlichen Trost finden würde.
Nachdem der erste bittere Schock verstrichen war, sah Conrad seinen mutierten Sohn allmählich in einem anderen Licht. Victor war nicht
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