Geisterbahn
verdient? Es war nicht nur ein Hobby oder so?«
»Kein Hobby«, antwortete Richie. »Onkel Arnold war ein Profi. Er nannte sich >Der erstaunliche Arnoldo<. Aber er hat wohl nicht besonders gut verdient, und nach einer Weile hat er den Job nicht mehr ausstehen können. Inzwischen verkauft er seit zwanzig Jahren Versicherungen.«
»Es wäre doch toll, Bühnenzauberer zu sein«, meinte Amy. »Warum hat dein Onkel es nicht mehr ausstehen können?«
»Na ja«, sagte Richie, »jeder erfolgreiche Magier braucht einen Trick, der ihm ganz allein gehört, eine ganz besondere Illusion, durch die er aus der Menge der anderen Magier herausragt. Onkel Arnold hatte einen Trick, bei dem er zwölf weiße Tauben erscheinen ließ, eine nach der anderen, einfach aus dem Nichts, während Flammen auflodern. Das Publikum applaudierte höflich, wenn die erste Taube erschien, und schnappte nach Luft, wenn die zweite und die dritte kam, und jubelte laut nach dem ersten halben Dutzend. Ihr könnt euch ja vorstellen, was los war, wenn schließlich das gesamte Dutzend aus den Verstecken in der Kleidung meines Onkels zum Vorschein gekommen waren, jede mit einer kleinen Stichflamme.«
»Das verstehe ich nicht«, wandte Buzz stirnrunzelnd ein.
»Ich auch nicht«, sagte Amy. »Warum hat dein Onkel aufgehört und Versicherungen verkauft, wenn er so toll war?«
»Manchmal«, sagte Richie, »nicht oft, aber so etwa bei jeder dreißigsten oder vierzigsten Vorstellung, fing eine der Tauben Feuer und verbrannte bei lebendigem Leib, mitten auf der Bühne. Das fand das Publikum gar nicht so toll, und es hat Onkel Arnold ausgebuht.«
Liz lachte, Amy ebenfalls, und Liz tat so, als wäre sie eine brennende Taube, die versucht, die Flammen mit den Schwingen zu ersticken, und Amy wußte, daß das gar nicht lustig war, daß es furchtbar war, wenn so ein armer Vogel Feuer fing, und sie wußte, sie sollte nicht lachen, aber sie kam nicht dagegen an, weil es die urkomischste Geschichte war, die sie je gehört hatte.
»Onkel Arnold fand das gar nicht witzig«, sagte Richie, als das laute Gekicher verebbte. »Wie ich schon sagte, es ist nicht oft passiert, aber er hat nie gewußt, wann es passieren würde, und deshalb war er immer furchtbar nervös.
Von dieser ständigen Anspannung bekam er ein Magengeschwür. Und selbst wenn die Vögel nicht verbrannt sind, haben sie in seine Anzugtaschen geschissen.«
Sie lachten erneut, noch heftiger als zuvor, und hielten einander fest. Die Leute, die auf dem Mittelgang an ihnen vorbeischritten, warfen ihnen seltsame Blicke zu, was sie nur noch lauter lachen ließ.
Richie spendierte allen Eintrittskarten für Marcos nächste Vorstellung.
Der Boden im Zelt des Magiers war mit Sägespänen bedeckt, und die Luft roch muffig. Bunte Plastikfähnchen und Poster von Marco schmückten die erhellten Zeltwände.
Amy, Liz, Buzz und Richie gesellten sich zu zwei Dutzend Zuschauern, die sich um eine kleine, erhöhte Bühne an einem Ende des Zelts drängten.
Einen Augenblick später erschien Marco in einer blauen Rauchwolke und verbeugte sich, während vom Tonband eine Fanfare erschallte. Es war schmerzhaft offensichtlich, daß der Zauberer einfach durch einen Schlitz in der Rückseite des Zelts getreten war und den Rauch zur Tarnung benutzt hatte. Eigentlich war er gar nicht mal auf die Bühne getreten, sondern gestolpert.
Liz sah Amy an. Beide kicherten.
»Gott sei Dank ist er Zauberer und kein Drahtseilartist«, flüsterte Richie.
Amy kam sich vor, als stünde sie auf Luftballons, bewahrte nur unsicher das Gleichgewicht und würde gleich selbst einen tollen Zaubertrick vorführen.
Was hatte Liz nur in diesen Joint gemischt?
Marcos Erscheinung war so armselig wie sein Auftritt.
Er war ein Mann mittleren Alters mit blutunterlaufenen Augen und trug dickes Make-up. Er wollte wohl wie der Teufel aussehen. Seine Lippen waren rot; das Gesicht war frostbleich; die Augen wurden von dicker schwarzer Mascara betont, genau wie sein in der Stirnmitte spitz zulaufender Haaransatz. Er trug einen schäbigen Smoking und weiße Handschuhe, die mehrere gelbe Flecken aufwiesen.
»Er sollte diese Handschuhe nicht tragen, wenn er abspritzt«, flüsterte Liz.
Sie alle lachten.
»Ekelhaft«, meinte Richie.
»Er sieht so widerlich aus, daß ihm wohl nichts anderes übrigbleibt, als zu wichsen«, flüsterte Buzz.
Marco warf ihnen einen nervösen Blick zu; sicherlich konnte er nicht verstehen, was sie sagten. Er lächelte sie an, und in dem
Weitere Kostenlose Bücher