Geisterbahn
nicht glauben, was sie gesehen hatte. Es mußte ein Trick sein, zur Fahrt durch die Geisterbahn gehören, eine unglaublich clevere Illusion.
Offensichtlich waren auch Liz und Buzz dieser Ansicht, denn auch sie waren erstarrt.
Allmählich jedoch wurde Amy klar, daß Richie tatsächlich verschwunden war und kein Jahrmarkt auf der Welt das Risiko eingehen würde, einen Kunden mit einem so gefährlichen Trick zu verletzen.
»Blut«, sagte Liz.
Dieses Wort brach den Bann.
Amy und Buzz sahen sie an.
Liz hatte sich halb auf dem Vordersitz umgedreht. Sie hielt die Arme hoch. Sie waren mit einer nassen, dunklen Substanz bespritzt. Selbst im schwachen grünen Licht konnte man erkennen, daß Liz mit Blut beschmiert war. Mit Richies Blut. Amy schrie.
14
Nachdem Conrad die Stromversorgung der Gleise abgeschaltet und den Waggon der Teenager zum Stehen gebracht hatte, stieg er von der Einstiegsrampe zum Mittelgang hinab. Er hatte vor, um die Geisterbahn zu gehen, sie durch die hintere Kellertür zu betreten, diese hinter sich abzuschließen und Gunther zu suchen. Er wollte, daß sein Sohn drei dieser jungen Leute tötete, nicht aber Amy Harper. Amy sollte mehrere Tage lang leiden, bevor sie starb; und sie sollte vergewaltigt werden, vielleicht sogar von ihm selbst, nicht nur von Gunther. So wollte Conrad es haben, so hatte er es sich seit fünfundzwanzig Jahren erträumt. Er hatte Gunther aufgetragen, vorsichtig zu sein, war aber nicht sicher, daß sein Sohn sich beherrschen konnte, sobald er das erste Blut vergossen hatte. Gunther mußte zur Ordnung gerufen werden; in der nächsten kritischen Stunde brauchte er Anleitung.
Als Conrad sich anschickte, den Weg zwischen der Geisterbahn und dem Freak-o-rama einzuschlagen, sah er den Jungen: Amys kleiner Bruder stand drüben bei den Schloßtoren, durch die die Gondeln die Geisterbahn verließen.
Er muß gesehen haben, wie seine Schwester hineinging, dachte Conrad. Er wartet auf sie. Was wird er tun, wenn sie nicht herauskommt? Hilfe suchen? Den Sicherheitsdienst alarmieren?
Der Junge sah zu ihm hinüber.
Conrad lächelte und winkte.
Er mußte wegen des verdammten Jungen etwas unternehmen, und zwar schnell.
Buzz kletterte auf den Vorsprung, wo das AxtmörderSchaubild in grünes Licht getaucht war, und zog das Beil aus dem Schädel der Puppe, die verkrümmt zu Füßen der künstlichen Mördergestalt lag. Mit der Axt in der Hand sprang Buzz auf das Gondelgleis hinab, auf dem Amy und Liz sich zusammendrängten und auf ihn warteten.
»Die Axt ist echt«, sagte er. »Nicht sehr scharf, aber sie wird uns vielleicht ganz nützlich sein.«
»Ich verstehe das einfach nicht«, sagte Liz mit zittriger Stimme. »Was geht hier vor? Verdammte Scheiße, was hat das alles zu bedeuten?«
»Ich weiß es nicht genau«, sagte Buzz. »Ich kann es nur vermuten. Aber du hast gesehen, daß diese Hand ...«
»Es war keine Hand«, sagte Liz.
»Klaue, Tatze, wie auch immer du sie nennen willst«, fuhr Buzz fort. »Auf jeden Fall sah sie genauso aus wie die Hände dieses Dings in dem Krug, dieses toten Freaks, den wir im Freak-o-rama in Formaldehyd eingelegt gesehen haben. Nur war diese Hand viel größer.«
Amy mußte sich anstrengen, einen Ton über die Lippen zu bringen. Es überraschte sie, daß sie überhaupt sprechen konnte. »Du meinst... wir sind hier drinnen mit einem Freak gefangen, der Menschen umbringt?«
»Ja«, sagte Buzz.
»Er hat Richie nicht umgebracht!« widersprach Liz mit versagender Stimme. »Richie ist nicht tot. Er lebt. Er ... ist irgendwo ... und er lebt.«
»Das ist durchaus möglich«, sagte Buzz. »Vielleicht ist das nur eine Entführung oder so. Vielleicht halten sie Richie nur fest, um Lösegeld zu erpressen. Es wäre möglich.«
Er und Amy sahen sich an, und obwohl sie seinen Gesichtsausdruck in dem grünen Licht kaum deuten konnte, wußte Amy, daß Buzz derselben Ansicht war wie sie. Richie konnte einfach nicht mehr leben. Die Chance, daß er sie je wieder anlächeln würde, betrug eins zu einer Million. Richie war tot, endgültig, für immer.
»Wir müssen hier raus und die Bullen rufen«, sagte Liz.
»Wir müssen Richie retten.«
»Kommt mit«, sagte Buzz. »Wir gehen zum Eingangstor zurück. Wenn wir es nicht öffnen können, ist die Axt vielleicht scharf genug, daß ich uns den Weg freihacken kann.«
Zwischen dem grünen Schimmer des Schaubilds links von ihnen und den etwa fünfzehn Meter entfernten Eingangstüren gab es nicht das geringste
Weitere Kostenlose Bücher