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Geisterblumen

Geisterblumen

Titel: Geisterblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Jaffe
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einem Paar Socken. Dabei fiel ein Fotostreifen heraus.
    Es waren Fotos aus einem Automaten, vier untereinander. Sie alle zeigten einen Mann mit halblangem, dunklem Haar und ein Mädchen, die sich nebeneinander vor die Kamera gedrängt hatten. Auf dem ersten lächelten sie, auf dem zweiten standen sie Stirn an Stirn, auf dem dritten umfing er ihre Wange mit einer sehr großen Hand, und auf dem untersten küssten sie sich.
    Das Mädchen war Aurora, aber es hätte ebenso gut ich sein können. Wir sahen wirklich gleich aus, es traf mich wie ein Stich. Sie wirkte glücklich. Nein, mehr als das … selig.
    Ich konnte den Mann nicht erkennen, weil man sein Gesicht mit einem schwarzen Kugelschreiber zerkratzt hatte. Die dunklen Haare schimmerten nur an einer Stelle durch.
    Ich nahm den Fotostreifen mit ins Bett und betrachtete ihn genau. Ich rieb mit dem Finger über die Stellen, an denen man sein Gesicht unkenntlich gemacht hatte. Die Linien hatten sich tief eingegraben, da hatte jemand mit ganzer Leidenschaft den Stift wieder und wieder hin und her bewegt. Ich konnte den Schmerz dahinter spüren, den Zorn, den zerplatzten Traum. Auf der Rückseite der Fotos war ein Datum aufgedruckt. Eine Woche bevor Aurora verschwunden war. Derselbe Tag, an dem während des Tennisturniers das Foto entstanden war, das im Gästehaus auf dem Klavier stand. Das Foto, auf dem man Aurora versteckt hatte.
    Im Laufe dieser einen Woche waren ihre Gefühle von Liebe in Zorn umgeschlagen, einen Zorn, den ich in den Strichen ihres Stiftes spüren konnte. Was war geschehen? Hatte es etwas mit ihrem Verschwinden zu tun?
    Und wieso hatten Bridgette und Bain den Freund ihrer Cousine nie erwähnt? Warum gab es für ihn keine Lernkarte? So etwas Wichtiges hätte Bridgette niemals übersehen.
    Außer natürlich, es war gar kein Versehen, sondern Absicht. Ich wurde das Gefühl nicht
los, dass sie etwas vorhatten, das über unseren eigentlichen Plan hinausging, etwas, bei dem ich unwissentlich zur Komplizin geworden war. Als wäre es nicht nötig, nicht einmal wünschenswert, dass ich Aurora wirklich korrekt verkörperte. Das gefiel mir nicht.
Entbehrlich.
Ich erinnerte mich genau, wie Bridgette das Wort an unserem ersten Tag ausgesprochen hatte.
    Natürlich war auch ich nicht ganz aufrichtig gewesen, was meine Pläne betraf.
    Und ich hatte schon begonnen, sie umzusetzen. Ich gähnte und merkte, wie müde ich war. Alles andere konnte bis morgen warten. Ich legte den Fotostreifen auf den Nachttisch und kuschelte mich unter die Decke.
    Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich das Licht ausgeschaltet habe. Nur das Mondlicht fiel ins Zimmer, als ich von einem leisen Kratzen aufwachte und sah, wie sich der Türknauf langsam zu drehen begann.

14. Kapitel
    I ch war sofort hellwach und meine Gedanken rasten. Ich hatte doch
abgeschlossen?
Oder nicht?
    Die Angst kroch mir den Rücken herauf. Ich tastete mit meiner unverletzten Hand auf dem Nachttisch nach irgendetwas, das ich als Waffe benutzen könnte. Wie hatte ich so dumm sein können? Ich wusste doch, dass ich immer auf der Hut sein musste.
    Ich stellte eine Liste aller Maßnahmen zusammen, die ich hätte treffen müssen – einen Stuhl unter den Türknauf klemmen, das Messer aus meiner Handtasche holen und unter die Matratze legen, mich auf die ganze Sache überhaupt erst nicht einlassen –, als das Drehen des Türgriffs stoppte. Die Tür wackelte, als versuchte jemand, von außen hereinzukommen. Meine Finger schlossen sich um eine Taschenlampe, die ich im untersten Nachttischfach gefunden hatte.
    Wieder bewegte sich der Knauf. »Wer ist da?« Ich versuchte, das Zittern in meiner Stimme zu verbergen.
    Einen Moment blieb alles still und bewegungslos. Ich holte gerade tief Luft, als Finger an der Türkante kratzten, als suchten sie nach einem anderen Weg ins Zimmer.
    »Wer ist da?« Ich versuchte zu schlucken, mein Mund war ganz trocken. »Was willst du?«
    Ich beugte mich vor und lauschte angestrengt, dann konnte ich es hören. Unmissverständlich. »Aurora«, sagte eine Stimme, teils flüsternd, teils heulend. Wieder rüttelte jemand an der Tür.
    Ich würde nicht verängstigt hier drinnen sitzen. Ich würde dem, was auch immer dort draußen lauerte, gegenübertreten. Ich sprang mit einer fließenden Bewegung aus dem Bett, rannte zur Tür und riss sie auf.
    Und sah … nichts.
    Niemand war da. Es gab kein Anzeichen, dass irgendjemand dort gewesen war. Der breite, dunkle Korridor war völlig still. Und

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