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Geisterblumen

Geisterblumen

Titel: Geisterblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Jaffe
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siehst du mich so an?«
    Er schüttelte langsam den Kopf. Sein Gesichtsausdruck war derselbe, den er schon vor drei
Wochen bei Starbucks gehabt hatte, bevor all das angefangen hatte. »Es ist nur, dich hier zu sehen, in ihrem Zimmer … es ist so
real
.« Er stand auf, doch statt zur Tür zu gehen, machte er einen Schritt auf mich zu.
    »Gut. Darum geht es doch, oder?« Ich spürte das kühle Metall der Taschenlampe an meinem Oberschenkel und ließ meine Finger darauf liegen.
    »Ja. Ro ist wieder zurück. Zu Hause, lebendig, höchstpersönlich.« Er spannte die Finger an und löste sie wieder. »Unumstößlich.«
    Etwas ging in ihm vor, das ich nicht verstehen konnte und wollte. Er machte noch einen Schritt auf mich zu. Meine unverletzte Hand schloss sich unter der Decke um die Taschenlampe.
    Ich wollte ihn aus diesem Zustand reißen. Mein Blick fiel auf den Fotostreifen auf dem Nachttisch. Rasch holte ich die Lampe hervor und leuchtete damit auf die Fotos. »Weißt du, wer das ist? Oder wieso Ro sein Gesicht zerkratzt hat?«
    Es funktionierte. Der abwesende Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht. Er kam noch näher, konzentrierte sich diesmal aber auf die Fotos. Der Strahl der Taschenlampe lag darauf, und als er sich bückte, konnte ich sein Gesicht nicht sehen. Er schien allerdings die Stirn zu runzeln. »Wo hast du die gefunden?«
    »In ihrer Sockenschublade.«
    »War da sonst noch etwas?«
    »Socken. Wieso? Hat es etwas zu bedeuten?«
    Er stand auf und schüttelte den Kopf. »Da bin ich überfragt. Ich kann mir nicht vorstellen, wieso Aurora sein Gesicht hätte zerkratzen sollen.« Es klang überzeugend.
    »Allerdings hat sie die Fotos behalten. Also müssen sie ihr etwas bedeutet haben. Hast du eine Ahnung, wer das ist?«
    »Wie gesagt, ich weiß es nicht«, erwiderte er, obwohl er es noch gar nicht gesagt hatte. Er wirkte aufgewühlt und hatte es plötzlich eilig. Er warf einen Blick durchs Fenster auf sein Haus. »Ich sollte lieber gehen. Wenn man mich nachts in deinem Zimmer erwischt, sind wir erledigt.«
    Mit zwei großen Schritten war er bei der Tür, doch dann hielt er inne und drehte sich noch einmal zu mir um. »Ich an deiner Stelle würde dieses Foto nicht herumzeigen. Verstecke es an einem sicheren Ort.«
    »Wieso?«
    »Die Leute könnten fragen, wer der Typ ist. Wenn du das nicht weißt, könnten wir nur deswegen auffliegen.«
    »Sicher«, stimmte ich zu. Ein gutes Argument. Trotzdem kam es mir vor, als wäre das nicht der eigentliche Grund.
    Als ich aufstand und die Tür hinter ihm abschloss, überdachte ich noch einmal seine Reaktion auf die Fotos. Er war aufrichtig überrascht gewesen, aber nicht wegen des Mannes. Ich hätte schwören können, dass er genau wusste, wer er war, obwohl das Gesicht zerkratzt war.
    Was wiederum bedeutete, dass in der Woche, bevor Aurora verschwunden war, etwas geschehen sein musste, das ihre Liebe zu diesem Mann in Hass verwandelt hatte. Und Bain wollte nicht, dass ich fragte, was das gewesen war.
    Ich beschloss, seinem Rat zu folgen und die Fotos an einem sicheren Ort aufzubewahren. Aber ich bezweifelte, dass wir die gleiche Vorstellung von einem solchen Ort hatten.

16. Kapitel
    Samstag
    D
ie Lichter werfen lange, hellglänzende Streifen auf den
nassen Gehweg, und die Reifen der Autos machen zischende Geräusche. Auf der anderen Straßenseite klingelt ein Münztelefon. Wann immer ich hinüberwechseln will, fährt ein Auto vorbei und spritzt mich nass.
Ich muss rangehen,
denke ich.
Es geht um Leben und Tod.
Als ich endlich dort ankomme, sehe ich, dass die Zahlen weggekratzt sind, und der Hörer fehlt. Ich stehe da und starre das Telefon an, während es klingelt. Ich kann nichts tun; ich bin hilflos. Ich muss antworten, muss mich verantworten …
    Ich erwachte schweißgebadet, mit rasendem Herzen, die Decke um meine Füße gewickelt. Ich dachte nur: Wofür verantworten? Die Sonne schien unbarmherzig durchs Fenster und ließ Regenbogen von den geschliffenen Seiten der sternförmigen Laterne abprallen.
    Es war, als wollte die Helligkeit mein rasendes Herz beruhigen und die Enge in meiner
Brust vertreiben.
Was konnte es hier Düsteres geben?
, schien das Zimmer in
spöttischem Ton zu fragen. Durchs Fenster sah ich einen luxuriösen Teppich aus perfekt
gepflegtem grünen Rasen, dahinter Hügel und den blauen Himmel.
Sieh nur, es ist das Paradies,
schien das Zimmer zu sagen.
Kein Grund zur Angst.
    Auf dem Weg ins Bad schloss ich die Zimmertür auf und kam mir dumm vor,

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