Geisterblumen
zu planen. Sie würden vielleicht bis nach dem Geburtstag warten, nötig war es nicht. Nach heute Abend würde jeder, der in Tucson Rang und Namen hatte, an Aurora Silvertons Rückkehr glauben.
Ich musste die Stadt verlassen, hatte aber nur dreißig Dollar und keinen Ausweis. Natürlich könnte ich noch ein paar Tage meine Rolle weiterspielen und versuchen, den Ausweis und Bargeld aus Bridgettes Brieftasche zu stehlen. Andererseits war jeder weitere Tag in dieser Familie lebensgefährlich.
Ich schaute über den Tisch und betrachtete die Leute, ihr vollkommenes Lächeln und das so spielend aufgesetzte Lachen. Ich hatte früher schon von weniger als dreißig Dollar gelebt. Das war kein Problem. Heute Abend würde ich verschwinden, entschied ich.
Nach dem Dessert fuhr Arthur Althea und mich nach Hause. Wir verbrachten die Fahrt damit, aus dem Fenster zu schauen, nur einmal sagte sie beiläufig: »Du weißt, dass ich dich enterbt habe. Ich hinterlasse dir keinen Cent.«
»Ich verstehe.«
»Ich merke, wie geschickt du deinen Zorn im Zaum hältst. Am liebsten würdest du mich in der Luft zerreißen, oder?«
»Nein, Althea, das würde ich nicht.« Ich war überrascht, wie ruhig meine Stimme klang. »Das Geld ist mir nicht so wichtig.«
»Oh, doch, das ist es.« Sie wandte sich zu mir, und ihre Augen funkelten. »Das weiß ich genau. Warum sonst bist zu zurückgekommen? Du liebst mich nicht. Du kannst auch die anderen nicht lieben, keinen von ihnen. Wir sind keine liebenswerte Familie. Wir alle sind verkrüppelt, wie Bäume, die auf felsigem Boden wachsen. Entstellt und hässlich.« Sie beugte sich zu mir, und ich wich unwillkürlich zurück.
»Du sitzt da und denkst, du wärst anders, weil du weggegangen bist, aber das bist du nicht. Du bist zurückgekehrt. Du bist zurückgekehrt wie ein Geier, der frisches Fleisch wittert. Du bist zurückgekommen, um dich mit ihnen zusammen von meiner Leiche zu nähren.«
Plötzlich blieb mir die Luft weg, als wäre ihr Zorn ein eigenes Wesen, das mit uns auf dem Rücksitz saß und den ganzen Sauerstoff aufsaugte. Ich drückte mich gegen die Tür, der Griff bohrte sich in meinen Rücken, als der Wagen plötzlich anhielt.
»Wir sind zu Hause«, verkündete Arthur, und ich hätte ihn am liebsten korrigiert, ihm erklärt, was meine Mutter über das Weglaufen von zu Hause gesagt hatte. Das hier war nie und nimmer ein Zuhause.
Mir zitterten die Knie, und ich fiel fast aus dem Wagen. Die nächsten zweieinhalb Stunden kamen mir vor, als wäre die Zeit in Bernstein eingefroren. Wir waren kurz nach neun zurückgekommen, aber ich wusste, dass ich nicht vor Mitternacht aufbrechen konnte. Ich steckte einige unauffällige Kleidungsstücke, meine dreißig Dollar und den Zettel von Bain in meinen Rucksack. Ich spielte mit dem Gedanken, einen Abschiedsbrief zu hinterlassen, wusste aber nicht, was ich schreiben sollte. Außerdem wäre es ohnehin egal. Ich hatte gelernt, dass jeder seine eigene Geschichte schreibt.
Schließlich zeigte die Uhr zehn vor zwölf. Ich schaltete das Licht aus, öffnete die Tür und horchte.
Im Haus war es still.
Ich hatte bereits beschlossen, dass der beste Weg durch die Haustür führte. Arthur wohnte über der Garage neben der Hintertür, daher war die Gefahr, gesehen zu werden, dort größer.
Außerdem knarrte die Vordertreppe weniger als die Hintertreppe. Ich trug meine Schuhe in der Hand und tappte leise den Flur entlang, wobei ich einen Blick in den Innenhof warf, der verlassen dalag. Alles wirkte stiller und freundlicher als bei meiner Ankunft.
Draußen würde ich keine Zeit haben, mich umzudrehen und einen letzten Blick auf das Haus zu werfen. Draußen würde die Uhr laufen, und ich wäre auf der Flucht. Wieder einmal.
Ich trat vorsichtig auf jede Stufe und wartete, bis sie sich unter meinem Gewicht gesetzt hatte. Es war die Viertletzte, die knarrte. Ich hielt die Luft an.
»Ich kann nicht glauben, dass du die Stufe vergessen hast«, sagte Mrs March und trat hinter einer Zimmerpalme hervor. »Das ist die Stufe, auf der wir dich immer erwischt haben. Richtig gemein, tagsüber leise, nachts aber laut wie ein Schuss.«
Ich sah, dass sie noch angezogen war. »Sie wussten, dass ich rausschleichen will.«
Sie nickte. »Ich hatte gehofft, ich hätte mich geirrt. Ich habe jede Nacht auf dich gewartet. Nur für den Fall, dass du es versuchen würdest. Dass du wirklich ein Feigling bist.«
Das Wort traf mich wie ein Schlag. »Was hat Weggehen mit Feigheit zu
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