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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Es wurde sogar noch einen kleinen Tick breiter, als ich die Klasse betrat und mir alle meine Klassenkameraden anerkennend zunickten. Alle – ob wegen meines Auftritts als SPU oder wegen Melanie oder wegen beidem, das war mir herzlich egal.

14. Sommer
    Melanie war das einzige Kind eines sehr jugendlich wirkenden Paares. Wegen der tiefen Stimme am Telefon hatte ich einen kastenförmigen, starken Mann in der Kategorie des Edeka-Marktleiters erwartet, aber Vater Schmöling war ein großer, eher schlanker Mann mit der Statur eines Leichtathleten, was sein gebräuntes Gesicht und die kurzen, wie bei Melanie sehr hellblonden Haare noch unterstrichen.
    »Ah, Frank N. Furter, schön, dass Sie uns besuchen. Sie haben sich aber gut gehalten, wenn ich das sagen darf.« Dabei drückte er mir ganz schön ordentlich die Hand und lächelte breit.
    »Keine Autogramme jetzt«, antwortete ich, was ich angesichts der Situation wahnsinnig schlagfertig fand.
Er lachte. Er war mir sofort sympathisch.
»Guten Tag, Herr Schmöling«, sagte ich.
»Tag, junger Mann. Kommen Sie mal rein.« Er drehte sich um. »Melly, das Warten hat ein Ende.«
Während in meiner Wohnung und der meines Freundes überall Teppiche und Auslegeware zu finden waren, betrat ich hier lackierte Dielen, die ein wenig knarrten. Es war sehr hell, lichtdurchflutet, und es gab keine Vorhänge vor den Fenstern. An den Wänden hingen zarte Aquarelle, wenigstens an den paar Stellen, die nicht von Bücherregalen eingenommen wurden. In dieser Wohnung gab es mehr Bücher als in unserer Schulbibliothek, nahm ich an. Auf dem Klingelschild hatte gestanden: Schmöling – Dr. Susanne, Dr. Klaus und Melly.
Sie kam, lächelte mich an, gab mir aber nur die Hand.
»Hallo, Tim.«
Papa Schmöling zwinkerte mir zu. »Ich geh dann mal.« Er verschwand im Wohnzimmer.
Dr. Klaus hatte eine Allgemeinmedizinerpraxis in der Beusselstraße übernommen, Mama Schmöling, also Dr. Susanne, volontierte im Klinikum Steglitz. Die Wohnung sollte eine Übergangslösung sein, die Familie war auf der Suche nach einem Haus, was in Berlin zu dieser Zeit nicht so einfach zu haben war. Sie kamen aus Hamburg.
In Melanies Zimmer lief Musik, »Crises« von Mike Oldfield. Da es sich um das erste Stück des Albums handelte, nahm ich an, Melanie hätte das eben erst aufgelegt. Der Raum wurde beherrscht von einem großen Metallbett, auf dem ein riesiger Teddybär saß und über dem ein Baldachin aus durchscheinendem Stoff angebracht war. An den Wänden standen Kiefernholzregale, voller Bücher, kleiner Puppenfiguren, Postkarten. Auf dem Tisch wartete ein Teeservice, es gab einen Sessel, eine Couch, einen überfüllten Schreibtisch, auf dem ein großer Blumenstrauß stand, einen runden Flokati auf den lackierten Dielen. In der Ecke neben der Tür stand ein Fotostativ, darauf eine ziemlich beeindruckende Spiegelreflexkamera. An der Wand dahinter hingen einige großformatige Fotos, die Melanie zeigten, Porträts oder Ganzkörperaufnahmen, bei denen sie einen Selbstauslöser in der Hand hielt. Die Fotos waren in diesem Zimmer gemacht worden, manche waren … ein bisschen erregend.
»Warte mal«, hatte Melanie gesagt, nachdem sie mich in den Raum geführt hatte. Jetzt kam sie mit einer bauchigen Teekanne, stellte sie auf den Tisch, verschloss die Tür, dann presste sie sich an mich, und wir küssten uns. Atemlos, einige Minuten lang.
»Dein Vater?«, fragte ich vorsichtig, als wir saßen und sie mir Vanilletee einschenkte.
»Ich bin sechzehn«, erklärte sie nur. Das überraschte mich.
»Du nicht?«, fragte sie grinsend.
»So gut wie.« Ich kam mir irre jung vor mit meinen fünfzehn Jahren und zehneinhalb Monaten.
»Ich auch erst seit zwei Wochen.«
»Sind die von dir?«, fragte ich überflüssigerweise und zeigte auf die Fotos. Melanie nickte.
»Ich bin zu klein, um Model zu werden, also will ich hinter der Kamera stehen. Das ist mein Traum.«
Es klopfte an der Tür, aber sie wurde nicht geöffnet. »Ich gehe dann mal«, wiederholte Dr. Klaus. »Macht keinen Unsinn.« Und dann, nach einer kleinen Pause: »Denkt daran, wie es Brad und Janet ergangen ist.«
»Er muss in die Praxis«, erklärte Melanie, und ihr Lächeln dazu war überaus seltsam. Ich saß in einem beigefarbenen Sessel, die Hände zwischen die Oberschenkel gepresst, wenn ich nicht gerade einen kurzen Schluck Vanilletee nahm, wobei meine Hand zitterte.
»Hast du Angst?«, fragte Melanie. Seit der Ankündigung des Vaters waren ein paar Minuten vergangen, und

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