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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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besser: Guten Nachmittag. Es ist halb zwei.«
»Scheiße«, antwortete ich und nahm den Kaffeetopf, zog den Löffel heraus und legte ihn auf den Blumenständer neben dem Bett.
»Du scheinst mir ein Milch-und-Zucker-Typ zu sein«, erklärte sie. »Also habe ich beides hineingetan. Richtig?«
Ich nickte widerwillig. Jetzt wusste diese Frau schon mehr über mich als viele andere. Immerhin war der Kaffee vorzüglich, aber mit dem ersten Schluck – oder doch schon vorher? – verspürte ich trotzdem ein seltsames, leicht säuerliches Gefühl im Magen. Einen sich ankündigenden Brechreiz. Ich überschlug, was ich getrunken hatte, und kam auf soliden Durchschnitt, maximal. Nichts, was mich noch am nächsten Tag umwarf. Normalerweise.
»Willst du richtig frühstücken?«, fragte sie.
Ich schüttelte energisch den Kopf, was das Gefühl im Magen noch verstärkte, schluckte den Kaffee, so schnell es eben ging. Meine Hände zitterten. Das taten sie sonst nie, morgens, völlig unabhängig davon, was ich getrunken hatte.
»Schade. Hier ist ein sehr nettes Frühstückscafé gleich um die Ecke.«
»Tut mir leid«, brachte ich heraus, gegen Material ankämpfend, das meinen Hals hochzuklettern versuchte.
Jemand klopfte an die Tür. »Bine, wir gehen jetzt«, rief eine Frauenstimme. Bine antwortete: »Viel Spaß.« – »Dir auch«, kam von jenseits der Tür, und Gekicher.
»Wir sind zu viert in der WG«, erklärte Bine.
»Toll.«
Weiße Raufaser, drei Billy-Regale mit Büchern, eine Pressspanplatte auf Holzböcken als Schreibtisch, ein kleiner Fernseher mit Zimmerantenne auf dem Fußboden, eine Otto-Versand-Stereoanlage, ein niedriger Kiefernholztisch, der weggeschoben worden war, um die Schlafcouch auszuklappen. Bine hatte graublonde, lockige Haare, die nicht ganz bis zu den Schultern reichten, eine etwas zu große Stupsnase und flächige Sommersprossen. Sie trug ein weißes, zu großes T-Shirt ohne Aufdruck, das ihre Konturen kaschierte, und blaue Trainingshosen. Der lilafarbene Lack an ihren Fingernägeln war abgeplatzt.
»Ich muss los«, sagte ich und versuchte aufzustehen. Mir wurde trieselig. Was zur Hölle …
»Schon?« Es lag ein wenig subtiler Vorwurf in der Stimme, sie zog einen Flunsch.
»Ich bin verabredet.«
»Sehen wir uns heute Abend?«
Ich fixierte einen Punkt irgendwo in der Mitte der Billy-Komposition, Buchrücken verschwammen beim Draufsehen. Verdammt, warum war ich hier? Wie hatte es geschehen können, dass ich eingeschlafen war, um in dieser Studentinnenidylle aufzuwachen? In Bine-Country? Ich wollte nicht hier sein. Ich durfte nicht hier sein.
Sie hatte am Tresen gesessen, erst in der Mitte, etwa vier Meter vom Pult entfernt, und mit jedem freiwerdenden Platz war sie näher gerückt. Natürlich hatte ich das wahrgenommen. Das war schließlich das Spiel. Als sie an der Kante angelangt war, hatte sie mir ein breites, stupsnasiges Lächeln geschenkt und sich irgendeinen Titel gewünscht. Eine Viertelstunde später hatte ich das Stück aufgelegt, Bine angesehen und gefragt: »Warum tanzt du jetzt nicht?«
»Weil der einzige Junge , mit dem ich tanzen würde, beschäftigt ist.«
Ich hatte breit gegrinst, mir oberwichtig den Kopfhörer aus dem Nacken an ein Ohr gezogen, völlig grundlos ein bisschen am Mixer herumgefummelt und genickt.
Und jetzt saß ich hier, mit einer Magenverstimmung und einem der Verstimmung nahen Nachtüberbleibsel.
»Soll ich dich nach Hause fahren?«, fragte sie.
»Wo sind wir eigentlich?«, fragte ich zurück. Ich mied ihren Blick, denn mein Magen schien stärker zu rebellieren, wenn ich Bine ansah.
»In Moabit. Kirchstraße.«
Moabit. Am Amtsgericht.
»Ich fasse es nicht«, sagte ich, eher zu mir selbst.
»Alles in Ordnung mit dir?« Sie klang ehrlich besorgt, und mein Magengefühl nahm bedrohliche Formen an.
»Ja«, brachte ich heraus. Ich fühlte mich zum Kotzen, ganz unmetaphorisch. Meine Eingeweide zogen sich zusammen, dehnten sich ruckartig wieder aus. Und dann erbrach ich mich neben das Schlafsofa, in ruckartigen Schüben, brachial, schmerzhaft. Ein Schwall aus allem Möglichen ergoss sich auf den Grenzbereich zwischen graugrün lackierten Dielen und einem Läufer mit Karomuster. Ich japste gegen die epileptischen Zuckungen meines Körpers an, griff in die Luft, hielt mich an der Bettdecke fest, leistete Widerstand gegen die körperliche Versuchung wegzutreten.
»Ach du je«, sagte Bine und sprang auf.
Ich wollte etwas erwidern, aber es kam nur Material. Sekunden später kehrte sie mit

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