Geisterfahrer
zu machen, ist das nicht ein Schuldeingeständnis?«
Frank zuckte wieder die Schultern. »Manchmal ist es einfacher, sich der Frage nach Schuld oder Unschuld zu entziehen, weil sowieso keiner glaubt, was man sagt. Hättest du ihm geglaubt , wenn er behauptet hätte, es nicht gewesen zu sein?«
Jetzt zuckte ich die Schultern. »Ich weiß nicht. Vermutlich nicht.«
»Schöner Freund.« Er lächelte dabei, aber es biss trotzdem.
Ich verzog das Gesicht.
»Lass gut sein«, sagte er und legte mir die Hand auf die Schulter. »Du bist nicht verantwortlich dafür.«
Wir trennten uns gegen zwei oder drei, sein Pieper hatte noch ein paar Mal gesummt, Frank war für Geldanlagen zuständig, er war so etwas wie ein Jungstar in diesem Bereich, und seine Klienten wurden vorzugsweise nachts nervös, wenn sie schlaflos darüber nachdachten, was aus ihrer leichtfertig anderen Händen anvertrauten Kohle und ihrer Zukunft werden würde. Wir umarmten uns vor der Tür, was eine merkwürdige Selbstverständlichkeit hatte, Frank gab mir eine geprägte Visitenkarte, versuchte tatsächlich in einem Halbsatz, mich davon zu überzeugen, ihm mein Geld zwecks Vermehrung anzuvertrauen, und nahm mir schließlich das Versprechen ab, zur Beerdigung zu kommen. Er war schon drei, vier Schritte entfernt, da drehte er sich um.
»Ich habe sehr wohl bemerkt, dass du meine Frage nach der Liebe nicht beantwortet hast.« Seine Stimme war chivasfarben.
Ich antwortete nicht.
Er nickte langsam. »Es tut immer noch so weh? Wow. Tut mir leid für dich, ehrlich.«
Und dann ging er zu dem Taxi, das Dieter für ihn gerufen hatte.
Der Nummer-eins-Hit in Deutschland an diesem Tag war »First Time« von Robin Beck.
6. Dreier
Dienstagsabends trafen wir uns zum Skat, Pepe, Frank, Osti und ich. Manchmal konnte Frank nicht, weil ihn die Devisengeschäfte riefen, die Aktienkurse und Portfolios, dann spielte Neuner mit. Das tat er nicht so gern; Skat war kein Spiel, bei dem er je Weltmeister werden würde, er konnte nicht bluffen, und er hatte keinen Bandenstoß auf Lager, für den Fall, dass der Grand ohne vier beim letzten Stich abschmierte und die Gegner genau jene Karten zogen, vor denen man neun Stiche lang die Art von Angst gehabt hatte, die eigentlich Gewissheit ist. Siehste, hier sind die Asse und Buben. Haste gedacht, wir schmeißen die weg, damit du diesen Schwachsinn gewinnst?
Wir spielten im Schnipanzel. Seit ich den Abend vor Jens’ Beerdigung mit Frank dort verbracht hatte, vor ein oder zwei Monaten, kam er regelmäßig, und Osti hatten wir dort kennengelernt. Osti hieß eigentlich Hartmut, war zwei Jahre zuvor mit Hilfe eines Fluchthilfeunternehmens aus Cottbus gekommen; er war ein kleiner, kompakter, sehr kräftiger Typ Mitte zwanzig, hatte eine Dreiviertelglatze und das Selbstbewusstsein von Juri Gagarin. Jedenfalls theoretisch. In der DDR hatte er ein dickes Leben gehabt, zwei Autos und eine Schwalbe, der Vater Inhaber einer Kfz-Werkstatt, die Mutter engagierte Kommunistin, SED-Funktionärin, stellvertretende Bürgermeisterin und überhaupt. Hartmut war dem Trugschluss erlegen, in der Bundesrepublik würde es ihm noch besser gehen, aber das Gegenteil war der Fall. Kraftfahrzeugmechaniker gab es wie Wasser im Meer, und solche mit Zweitakterkenntnissen brauchte niemand. Osti war bei Daimler, VW, Opel und sogar Ford abgeblitzt, er schraubte stundenweise in einer Klitsche, die in einem Schöneberger Hinterhof Karosserien geradebog, und die Westfrauen interessierten sich nicht für ihn. Er war klein, hatte unglaubliche Käsefüße, die man selbst im Rauchdampf der Kneipe wahrnehmen konnte, und den gewöhnungsbedürftigen Charme eines Trabant 601. Zu seinem eigenen Glück bemerkte er das nicht. Osti baggerte jede Frau an, und manch eine war davon so maßlos überrascht, dass es sogar funktionierte.
Irgendwann hatte ich die Kurve gekriegt und Skat verstanden, jedenfalls ansatzweise. Ich hatte damit aufgehört, nur die Buben zu zählen, sondern die Stiche, die ich mit meinem Blatt auf jeden Fall machen würde. Ich hatte gelernt, am Reizverhalten und den ersten Stichen meiner Gegner zu erkennen, welche Karten sie höchstwahrscheinlich hielten. Ich spielte vorsichtig, riskierte aber im richtigen Moment, und ich mauerte nie.
Frank, Osti und Pepe teilten dieses Vergnügen, was sich eher zufällig ergeben hatte. Wir hatten im Schnipanzel gesessen, Schwachsinn erzählt und Linda hinterhergestarrt, jedenfalls die anderen drei; meine Maxime, nichts mit einer Frau
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