Geisterfahrer
hatte eigentlich sowieso keine Meinung.
Anfangs war alles ganz okay, auch wenn mir irgendwie schwummerig war, schließlich hatte ich einen feuchten Skatabend hinter mir und anschließend zwei Flaschen Champagner mitgetrunken. Dann geriet ich nach und nach in einen seltsam verlangsamten Zustand, verstand nicht gleich, was die Frauen sagten, die, davon abgesehen, ausschließlich miteinander beschäftigt waren. Eine von beiden sagte etwas, sie lachten, ich kicherte gesellig, und dann fiel mein ziemlich verschleierter Blick auf einen Sessel, der auf der anderen Seite des Bettes stand. Die Sitzfläche war stark eingedrückt, hatte eine Kuhle.
Ich begann zu zittern, und plötzlich überkam mich eine Vision. Ich sah Kuhle dort sitzen – die Hände auf den mächtigen Oberschenkeln, der Oberkörper leicht vorgebeugt – und mich mit kritischem Blick fixieren.
»Was ist?«, fragte ich leise.
»Was ist?«, fragte er zurück, triefender Zynismus in seiner Stimme. »Was ist ? Siehst du das nicht selbst?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Was tust du hier? Noch dazu mit einer Frau, in die ein Freund von dir verliebt ist«, blaffte er, »und dann noch in einem Bordell! Hast du sie eigentlich noch alle?«
Ich nuschelte etwas. Das Zittern verstärkte sich, und Tränen füllten meine Augen.
»Hast du sie noch alle?«, hallte es durch meine Vision, dann verschwand sie, und einen Augenblick später stand ich da, eine Hand an die Wand gelehnt, und suchte den Ausgang. Die Frauen sagten etwas, ich nickte nur, hangelte mich an einer Kordel ins Erdgeschoss hinunter. Kurz vor dem Tresen brach ich fast zusammen, meine Beine eierten, und die Spätvierzigerin zog mich auf einen Hocker, stellte mir eine Tasse Kaffee hin und musterte mich lächelnd.
Irgendwann später kamen Linda und … Dings , wischten sich die nassen Haare aus dem Gesicht. Linda bestellte noch eine Flasche Champagner, ich winkte ab, nippte an meinem Kaffee, konnte aber die Tasse kaum halten. Es mochte fünf, halb sechs sein, wir waren auch hier die letzten Gäste. Linda und ihre neue Freundin quatschten, ich verfehlte mit der Tasse den Unterteller, nuschelte »Taxi«. Die Tresenfrau nickte. Ich wankte zur Tür, sog draußen mit weit geöffnetem Mund die Luft ein, was nicht half. Linda kam mir nach, bot mir eine Zigarette an.
»Warum hast du das eigentlich gemacht?«, fragte ich. Mein Hirn war wie in Aspik eingelegt, und meine Muskulatur eierte beängstigend.
Linda lächelte, blies Rauch in die warme Luft.
»Das wollte ich schon immer ausprobieren, Sex gegen Geld.« Sie grinste. »Außerdem wollte ich sehen, wie du damit umgehst.«
Die Zigarette schmeckte grausig, ich hätte genauso gut gebrauchtes Klopapier rauchen können. Ich warf den Glimmstängel weg, sah der Glut hinterher und dachte an Pepe.
»Pepe ist in dich verschossen«, sagte ich.
Linda lachte.
»Jesus, ja, ich weiß. Pech gehabt. Ich steh nun mal eher auf Frauen, wie du vielleicht bemerkt hast.«
Ich sah sie an, sie lächelte, rauchte.
»Was war das vorhin?«, fragte sie. »Warum bist du abgehauen?«
»Mir war übel.« Mir war immer noch übel, im Kopf. Ich hätte jetzt gern gekotzt.
Ein Taxi fuhr vor, das Beifahrerfenster wurde geöffnet, eine Frauenstimme fragte: »Zum Puff?«
»Nimm du das, ich gehe noch ein bisschen spazieren«, sagte ich.
»Spazieren? Du? Du kannst doch kaum stehen.«
»Lass gut sein!«
Kopfschüttelnd stieg sie ein, das Taxi dieselte davon. Ich stand eine ganze Weile einfach nur da, starrte in die Straßenbeleuchtungsdunkelheit, auf Einfamilienhausfassaden, hinter denen die besser Betuchten schliefen, Paare in riesigen Ehebetten, Kinder zwischen teuren Kuscheltieren. Das Zittern setzte wieder ein. Ich rutschte zu Boden, Tränen kamen und gingen nicht wieder. Ich schämte mich. Und, was noch schlimmer war, ich hasste mich.
»Alles in Ordnung?«, fragte jemand. Die Tresenfrau aus der Villa Gigolo.
»Ja, alles super«, antwortete ich, erhob mich, wischte mir die Tränen ab und schlurfte in die Richtung davon, in die das Taxi verschwunden war. Es dauerte eine Weile, bis ich selbst eins fand.
7. Überraschungsbesuch
Freitags legte ich im Zelt auf, was fast schon die Größe eines Rockkonzerts hatte. Natürlich nahm man mich nicht so wahr wie eine austickende, gitarrenzerlegende Band, aber wenn ich von meinem Pult am oberen Rand der Tribüne auf das hüpfende Volk hinabblickte, das sich willfährig mit jedem Tempuswechsel, jeder Veränderung der Dramaturgie, jedem Genreschwenk abfand und trotzdem oder
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