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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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kunterbunte Beetblumen zwischen Gartenzwergen, hölzernen Wagenrädern und auf geschorenen Grasflächen zurückgelassenen Rasensprengern in Richtung Sonne. Kein Mensch war auf der Straße zu sehen. Es duftete naturgeil, die Pflanzen buhlten um Begattungsinsekten. Zwischendrin zogen Aromen anderer Art durch mein Olfaktorium, eines davon, das mich nur ganz kurz touchierte, ohne dass ich ausmachen konnte, wo es herkam, erregte mein Interesse: Kaffee. Scheiße, auf einen Riesentopf Kaffee hatte ich jetzt wirklich eine ganze Bockherde.
    Ich ging die hier etwas sorgfältiger geteerte Straße entlang, die von gedrungenen, unauffälligen Einfamilien- und Reihenhäusern gesäumt wurde, fast ausschließlich roter Klinker. Nach ein paar hundert Metern kamen zwei Geschäfte, eine mikroskopisch kleine Edeka-Filiale und ein Blumenladen, beide offenbar geschlossen. Die Straße öffnete sich auf einen kleinen Platz mit einem verschwiegenen Rundbrunnen, zwei verwitterten Sitzbänken und einer großen Kastanie. Auf der anderen Seite des Platzes lag der Gasthof Zum Elch. Hinter den Butzenscheiben war fahles Licht zu erkennen.
    Es roch so ähnlich wie am Vorabend im Nachtschicht, vielleicht etwas weniger penetrant. Die vier Kerle, alle Ende fünfzig, die an einem Tisch saßen und Skat spielten, kamen mir bekannt vor. Vermutlich waren sie gestern auch dabei gewesen. Einer nickte mir zu, ein anderer sagte:
    »Ernst ist gleich wieder da.«
    Ich setzte mich an den Tresen, ließ einen Bierdeckel auf der Kante trudeln, dachte an nichts oder vielleicht ein ganz kleines bisschen an Melanie. Im Westen nichts Neues. Dann kam Ernst. Er hatte mindestens eine Polonaise angeführt. Sein Gesicht war totenblass, auf seiner Stirn glänzte kalter Schweiß. Er sah mich an, schien zu grübeln, dann lächelte er.
    »Das war ein Abend. Große Klasse. Mir geht’s immer noch dreckig.«
Ich lächelte zurück, bestellte einen Kaffee, eine Flasche Wasser und Kassler mit Sauerkraut und Salzkartoffeln.
»Dauert aber einen Moment«, sagte Ernst, stellte mir das Wasser hin und eine wirklich große Kaffeetasse. Wow, das schmeckte einfach besser als alles . Glück ist, das Richtige im richtigen Moment zu bekommen, nicht notwendigerweise das Teuerste oder Angesagteste. Ich schlürfte, genoss das Aroma, dann trank ich die Wasserflasche aus. Meine Kopfschmerzen reduzierten sich auf einen Nachhall, ich spürte sie nur noch bei heftigen Bewegungen. Eine Viertelstunde später brachte Ernst das Essen. Ich mampfte zufrieden, trank anschließend ein Bier. Es ging auf vier zu, ich hatte noch Zeit. Also setzte ich mich zu den Skatspielern und kiebitzte. Ein Spieler stieg nach einer halben Stunde aus, weil er zu »Ommma« musste, ging grinsend, und da er im Mittelfeld lag, bot man mir seinen Platz an.
Die Jungs waren mit allen Wassern gewaschen. Wir zockten bis kurz vor sieben, und alles, was gesagt wurde, bezog sich ausschließlich auf das Spiel. Ich empfand das als erholsam, vor allem im Vergleich zu den ausschweifenden Informationen, die mir meine vorherigen Gastgeber aufgenötigt hatten, zwischen Schnäpsen und Tierorganen.
Ich kämpfte mich auf den zweiten Platz vor, gewann einen grandiosen Grand ohne drei, bei dem ich Schneider schlagen musste, was mir anerkennendes Schulterklopfen einbrachte. Mit dem KaroAss, das ich bis zum Schluss aufsparte, hatte ich sie ganz schön reingelegt.
»Wir sehen uns«, sagte ich und spurtete zum Nachtschicht zurück. Goerch und die Siebzehnjährige machten gerade sauber, ich duschte, trank noch einen Kaffee, und dann begann mein zweiter Abend.
Als Goerch um halb acht die Tür öffnete, wartete bereits eine lange Menschenschlange. Um halb neun war der Laden so voll, dass man kaum tanzen konnte. Ich hielt nach der Kleinen mit dem Schlaks Ausschau, aber sie kam nicht. Also konzentrierte ich mich aufs Muckemachen. Sie mochten Michael Jackson und Rick Astley, sie liebten Abba, sie feierten zu Queen, sie drehten durch zu Deep Purple. Ich musste eigentlich überhaupt nichts tun, nur den Rhythmus halten.
Irgendwann spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Da stand sie. Vielleicht ein wenig verlegen, vielleicht aber auch nur abgebrüht. Sie strahlte, wünschte sich Madonna, und dann blieb sie stehen, bis ich drei Songs später »Material Girl« auflegte. Ich beobachtete sie beim Tanzen, was nicht ganz einfach war, weil der Laden kochte. An der Bar stand der schlaksige Typ und unterhielt sich mit Ernst, dem Elch-Wirt.
Gegen zwölf legte ich die lange

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