Geisterfahrer
Version von »Sex Machine« auf und ging zur Bar. Wie zufällig stellte ich mich neben die Unbekannte und winkte Goerch, dem die schweißnassen Haare am Kopf klebten. Er reichte mir ein Beck’s, ich drehte mich zur Tanzfläche um.
»Ich heiße Gisela«, sagte sie.
»Tim. Tim Köhrey.«
Sie lachte. »Wie der aus Rocky Horror.«
»Nicht ganz«, sagte ich.
»Das ist Norbert, mein Bruder«, erklärte sie und zeigte auf ihren Begleiter, der seltsam grinste. Ich nickte unbestimmt.
»Wollen wir tanzen?«
James Brown wiederholte den Refrain gerade zum ungefähr achtzigsten Mal. Ich schüttelte den Kopf, lächelte dabei.
»Ich muss arbeiten. Später vielleicht.«
Sie legte die Stirn in Falten.
»Es wäre mir eine Freude«, ergänzte ich. Da strahlte sie wieder.
Die Anlage war eigentlich ein Witz, die Plattenspieler brauchten Tage , um eine Scheibe anzufahren, der Mixer hatte gerade mal zwei Kanäle, die paar Effekte ließen sich kaum steuern, und die Nebelmaschine brachte wenig mehr als eine im Aschenbecher qualmende Zigarette. Aber es war trotzdem herrlich. So mittendrin, während man sich gehenließ, ohne irgendwelche falsche Scheu vor den anderen. Ich konnte sogar Die Ärzte auflegen, was eigentlich ein Don’t war bei Menschen über zwanzig, und sie sangen bei »Zu spät« mit. Zwischen zwei und drei spielte ich »We Don’t Need Enemies« von Montana Sextet, ging zur Bar und zog Gisela auf die Tanzfläche. Das war das erste Mal seit über vier Jahren, dass ich tanzte. Aber es ging. Es ging gut. Zumal Gisela eine Art sich zu bewegen hatte, die mich sehr von mir selbst ablenkte. Ich verpasste beinahe den Anschluss, kämpfte mich durch die Menge zum Pult, zog irgendwas aus dem Koffer, zufällig »Wish You Were Here«, und als das Gitarrenintro erklang, ploppten Paare aneinander, als hätte man Magneten richtigherum aufeinander zubewegt. Gisela zog mich gegen vorgetäuschten Widerstand auf die Tanzfläche, und schon bei der zweiten Umdrehung küssten wir uns. Die Paare, die uns umtanzten, grinsten uns zu, aber irgendwann fing ich einen Blick von Norbert, Giselas Bruder, auf, und der war merkwürdig.
Wir gingen zu ihr, morgens um sieben. Goerch hatte gut hundert Leute rauswerfen müssen; ohne seine energische Intervention wäre es gnadenlos bis zum Mittag weitergegangen. Gisela fuhr mich in ihrem Golf in eine Querstraße, nur wenige hundert Meter vom Nachtschicht entfernt. Wir zogen unsere Schuhe im Flur aus und gingen auf Zehenspitzen ins Dachgeschoss. Ihr Bett war schmal, es roch nach Anis und Parfum. Im Schein der Morgensonne, die das Mädchenzimmer in fast schon kitschiges Licht tauchte, bumsten wir uns geräuschlos die restliche Energie aus den Leibern. Dann schliefen wir ein, Giselas Kopf an meiner Schulter, ihre Hände in meine verhakt.
Als ich erwachte, war ich alleine. Auf dem Kopfkissen lag ein Zettel: »Ich rede auch nicht so gerne. Es war schön. Wir sehen uns in zwei Wochen.« Hinter »Ich rede auch nicht so gerne« hatte sie ein ☺ gemalt, und dann war da noch ein Herzchen auf dem Zettel. Ich lauschte in meinen Bauch, aber erstaunlicherweise war mir überhaupt nicht schlecht. Ich nahm das Stück Papier, schlich die Treppe hinunter, schlüpfte in meine stinkenden Turnschuhe und joggte zum Nachtschicht. Zehn Minuten später saß ich im Auto; Goerch hatte mich kräftig umarmt und mir fünfzig Mark mehr gegeben, als vereinbart war.
»Ich freu mich schon auf übernächste Woche«, sagte er durchs Wagenfenster. Ich nickte, kramte meinen Autoatlas heraus und versuchte, Dannenberg auf der Karte zu finden.
Der Nummer-eins-Hit in Deutschland an diesem Tag war »Das Omen« von Mysterious Art.
10. Schlager
Pepe sagte am Telefon, ich bekäme mächtigen Ärger, wenn ich die »Tour« abbräche. Ich hörte zu, wie er von »die Freundschaft kündigen« redete und irgendwelchen Regressforderungen, aber nicht wirklich ernsthaft. Das Hauptproblem war Werner. Pepe hatte zweimal versucht, meine Post und ein paar Sachen aus der Wohnung zu holen, aber entweder hatte Werners Daimler vor der Tür gestanden oder Hotte. Er war sogar ins Chateau Plaisir marschiert, da kannte ihn ja niemand. Jenny, die ich ihm beschrieben hatte, arbeitete tatsächlich wieder, aber meine Tapes liefen nicht mehr. Und Jennys linke Wange zierte ein faustgroßes Hämatom, außerdem humpelte sie, erzählte Pepe.
»Was willst du hier?«, fragte er.
»Was will ich hier ?«, fragte ich zurück, allerdings halbherzig. Immerhin stand in vier Tagen – wenn ich
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