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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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liegt auf dem Schreibtisch, ich spüre Verspannungsschmerz und dann noch etwas viel Bösartigeres, das ich nicht gleich einordnen kann, weil mein Kurzzeitgedächtnis etwas verspätet einsetzt. Janine steht neben mir, sie sieht grausig aus. Leichenblass, dicke Augenringe, ihre Haare sind zwar ordentlich frisiert, machen aber trotzdem einen wuscheligen Eindruck. Sie trägt einen BH unter der Bluse.
»Was habe ich nur getan?«, fragt sie, und ihre Augen werden feucht.
»Das Richtige«, antworte ich, etwas mühevoll. »Mach dir keine Sorgen.« Ich ziehe eine Zigarette aus der Schachtel und zünde sie an, das habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht, eine Fluppe vor dem Frühstück. Es fühlt sich irgendwie richtig an – das Einzige, das sich in diesem Moment richtig anfühlt.
Janine verzieht den Mund, will etwas sagen, findet aber offenbar nicht die richtigen Worte. Plötzlich steht Wolfgang in der Tür, die Augenbrauen hochgezogen, sein Gesicht rötet sich, während er sich umschaut, und dann schreit er: »Was ist denn das für ein Dreckstall? Und seit wann wird in meinen Geschäftsräumen geraucht ?«
Ich stehe auf, nehme Janine an der Hüfte und schiebe sie in Wolfgangs Richtung, den ich auf diese Art aus dem Raum drücke.
»Verpiss dich, du Arschloch«, herrsche ich ihn an und verschließe die Tür.
Es gibt noch ein bisschen Geschrei und Geklopfe, dann wird es ruhiger; ich höre Janines kieksige, sich überschlagende Stimme, Wolfgangs Gebrumm, beides entfernt sich. Ich sehe auf die Uhr, acht am Montagmorgen. Gisela wird schon auf dem Weg nach Uelzen sein, Roland in der Schule.
Die Erinnerung an die vergangene Nacht ist präsent, es waren ja nur zwei Bier und drei Fingerbreit Scotch. Aber ich muss das trotzdem noch einmal sehen. Mein Laptop ist auf Standby, nach zehn Sekunden leuchtet der Bildschirm, einen Augenblick später bin ich abermals online.
Ihre Haare sind etwas kürzer, nur noch schulterlang, aber ihr Gesicht sieht fast unverändert aus. Sie lächelt nicht, auf keinem der fünfzehn Bilder, die auf der Previewseite eines Pornoanbieters mit .ru-Adresse zu sehen sind: Striptease, dann Nacktbilder mit gespreizten Beinen – und mehr. Sie schaut an der Kamera vorbei zu Boden und in den Himmel. Sie auf diese Art zu sehen, ist schlimmer als alles . Mein Magen verkrampft sich. »Mel, 28, from Germany«, steht da. »Bi, loves fisting. Looks for a sporty guy, or two.« Die Strecke besteht aus insgesamt fünfzig Fotos, die Motive ändern sich nicht, und es gibt offenbar auch nur diese Bilder von ihr. Noch nie in meinem Leben hat mich etwas derart erschüttert. Selbst die Nachricht über den tatsächlichen Vater von Roland tritt weit dahinter zurück. Ich schalte den Rechner aus.
    Plötzlich ist es neun, ich muss erneut weggedöst sein, oder ich bin wieder in diese seltsame Trance geraten. Es klopft an der Tür, zaghaft. »Tim, ich bin’s, Jani-nö«, höre ich. »Was willst du jetzt tun?«, fragt sie, als ich öffne.
    »Mich vom Acker machen«, sage ich, den Entschluss habe ich gefasst, während ich es ausspreche. »Ich verschwinde von hier.«
Sie nickt. Ihr Make-up ist völlig verschmiert. »Ich hätte dir das schon viel früher sagen sollen.«
»Seit wann wusstest du es?«
»Von Anfang an. Seit sie schwanger war. Von ihm.«
»Es ist okay«, sage ich. Mein Kopf ist übervoll und gleichzeitig so leer wie das All zwischen Erde und Mond. Nur ein bisschen Weltraumschrott, sonst nichts.
Janine küsst mich, zum ersten Mal, seit wir ein Verhältnis haben – hatten –, ist es zärtlich und nicht von dieser Ängste verdrängenden Heftigkeit bestimmt.
»Ich wünsche dir Glück«, sagt sie. Ich nicke. Sie verlässt mein Büro, deutet noch ein Winken an, ihre Wangen sind nass, die Tür bleibt offen, aber niemand kommt. Wolfgang wird Gisela angerufen haben, vielleicht ist sie auf dem Weg hierher. Ich hole mir einen Karton aus dem Lager, werfe irgendwelchen Krempel hinein und meinen Laptop, sehe meinen Schwiegervater am Büro vorbeihuschen, mit hochrotem Kopf und starrem Blick. Ein paar Minuten später gehe ich die vor Hitze glühende Parkinson-Straße entlang, den Karton auf der Schulter, mein T-Shirt ist schweißnass. Zu Hause schließe ich die Tür auf, es ist still. Ich dusche, packe dann ein paar Sachen in den Hartschalenkoffer, den wir benutzt haben, wenn wir nach Mallorca geflogen sind, immer in den gleichen stinklangweiligen Club, alle zwei Jahre. Ich hole ein paar Kisten vom Dachboden – meine Plattensammlung und

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