Geisterfahrer
fies.
»Warum nicht?«
3. Wichsen II
Janine arbeitet auch in Wolfgangs Baustoffhandlung. Sie hat ein eher diffuses Aufgabengebiet, was in der Hauptsache daran liegt, dass sie nicht einmal ihren eigenen Namen richtig aussprechen kann. Sie spricht das »E« mit, aber nicht als »E«, sondern als »Ö«: Jani-nö. Diese eigentlich nichtexistente Endsilbe betont sie auch noch, sie macht sogar eine dramaturgische Pause zwischen Jani und nö, und wenn man sie am Telefon ihren Namen sagen hört, fasst man sich jedes Mal fremdschämend an die eigene Stirn. Aber Janine sieht phantastisch aus, sie ist eine wirklich schöne Frau. Deshalb wurde sie von Wolfgang eingestellt.
Mein Aufgabengebiet ist weniger diffus, ich bin, dank meiner paar Semester Informatik, für die EDV zuständig und der Einzige im Laden, der den Unterschied zwischen einem Fenster im Computerprogramm und denjenigen, die im Hof palettenweise aufgeladen werden, kennt und versteht. Ich warte das eher anspruchslose Netzwerk, sorge für Programmupdates und kümmere mich um all die kleinen und noch kleineren Probleme, mit denen Wolfangs unterbezahlte, freundliche, aber ahnungslose Mitarbeiter so konfrontiert werden, zum Beispiel Monitore, die nichts anzeigen, weil man einfach vergessen hat, sie einzuschalten. Seit einigen Jahren programmiere ich, und das Warenwirtschaftssystem, das mittlerweile den Kern von Wolfgangs Unternehmung darstellt, stammt aus meiner Feder.
Ich scanne nach Viren, fertige Backups an und bin ansonsten das Mädchen für alles. Das meiste davon habe ich mir selbst beigebracht. Weil keine Sau im Laden versteht, was ich eigentlich mache, habe ich hier die Freiheit, die mir zu Hause fehlt. In Wolfgangs Baustoffhandlung bin ich Gott. Der Einzige, der alles weiß, was intern und nach außen über die Netzwerkkabel läuft, und ich weiß wirklich alles, vom E-Mail-Verkehr bis hin zur Buchhaltung, ich kenne jede Nachricht, die gelesen oder geschrieben wird, und jede Website, die irgendwer im Haus aufruft. Diese Freiheit nutze ich weidlich. Ich kaufe Software und Musik im Internet, wofür die Firmenkonten belastet werden, mein Arbeitslaptop ist eine heiße, allerdings noch nie genutzte DJ-Maschine, ich jage durch Chats und Foren. Ich empfinde das als gerechten Ausgleich, weil mir Wolfgang viel zu wenig zahlt und meine Gehaltserhöhungsgesprächsversuche immer damit abschmettert, dass Gisela »all das« irgendwann erben wird, wobei er den Blender, den er immer noch trägt, auf den Schreibtisch knallt und meckernd lacht. Gisela wird alles erben, wohlgemerkt. Wir haben Gütertrennung, das war Wolfgangs Idee. Nur das Haus gehört uns beiden, und die Raten für die Hypothek, einige wenige noch, die zahle ich.
Bis vor fünf Jahren saß ich abends manchmal in meinem Vierquadratmeterkabuff und holte mir einen runter, während meine Ehefrau glaubte, ich müsste noch irgendein schwerwiegendes Problem lösen. Seit Gisela und ich keinen Sex mehr miteinander hatten, geschah das regelmäßig, genau genommen täglich. Ich glaube, dass es sogar okay für sie gewesen wäre, wenn sie es gewusst hätte. Es war ein bisschen demütigend, in einem halbdunklen Büro zu sitzen, ein paar Tempos in der Hand, und sich auf verblassende, uralte Erinnerungen einen runterzuholen. Aber es war besser als gar nichts. Ein ganz klein bisschen besser. Selbstbetrug funktioniert gut, wenn man ihm einen anderen Namen gibt.
Es war im Frühling, es muss 2001 gewesen sein, weil ich mit der Euro-Umstellung befasst war – Nacharbeiten an Buchungen oder derlei. Ich langweilte mich, während ad hoc geschriebene Programme Daten überarbeiteten, sah auf die Uhr. Es war nach sechs, niemand mehr im Haus, der Hof still und dunkel, kein Fahrzeug mehr auf dem Parkplatz. Ich lehnte mich zurück, holte Freund Schüttelfrost aus der Hose und versuchte, an irgendeine Frau zu denken, nur nicht an die eine, die war in solchen Momenten tabu.
Und plötzlich stand sie neben mir, stieß einen seltsamen Laut aus, erschrocken und gleichzeitig interessiert.
»Ti-him!«, rief sie, ich drehte mich zu Jani-nö, die meine rechte Hand und ihren Inhalt fixierte.
Ich hielt in der Bewegung inne, aber Janine starrte immer noch.
»Was machst du da?«, fragte sie.
»Was denkst du?«, fragte ich zurück und machte Anstalten, mich wieder einzukleiden.
Sie öffnete den Mund, folgte mit dem Blick meinen Bewegungen, der Mund blieb offen, und dann sagte sie, nur noch ein bisschen widerwillig: »Nicht.« Ganz leise.
Ich hielt
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