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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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nicht in meinen Schädel.
»Das Merkwürdige ist,«, sagt er nach einem Moment des Schweigens, »dass man sich tatsächlich daran gewöhnt. Es ist wie im Urlaub.« Frank lacht, aber auf nicht sehr fröhliche Art. »Also, natürlich nicht wirklich wie im Urlaub. Aber schon nach wenigen Tagen kommt einem alles ganz normal vor. Als wäre man schon immer dort gewesen.«
»Und Ute?«, frage ich.
»Lebt auf Mallorca. Ich habe sie lange nicht mehr gesehen. Sie hat ganz schön zu kämpfen, macht drei Jobs, arbeitet fast rund um die Uhr, irgendwelchen Kleinkram, nähen und putzen und so. Dabei ist sie nicht mehr die Jüngste. Ich schicke ihr ab und zu Geld, wenn ich was übrig habe.«
»Oh«, sage ich, mehr fällt mir dazu nicht ein.
»Sie hat einen Mann kennengelernt, und dann war sie auch schon weg. Er hat sie ausgenommen und fallengelassen. So ist das Leben.«
Ist das so? , frage ich mich selbst.
»Hast du was von Mark gehört?«
Er schüttelt den Kopf, seine Mundwinkel gehen nach unten. »Nein. Nie wieder.«
Wir reden ein wenig über die Stadt und die vielen Veränderungen, dann über Franks Job. Die Unternehmensberatung in Köpenick, die ich im Netz gefunden habe, läuft nicht, irgendwas mit Leasing, er will das Büro aufgeben und versuchen, wieder in seinem ursprünglichen Beruf Fuß zu fassen. Mit Ende dreißig gehört man noch nicht zum alten Eisen, findet er, wirkt aber nicht sonderlich optimistisch.
»Wo wohnst du eigentlich?«, fragt er.
»In einem Hotel.«
Ich sage ihm, welches. Er verzieht das Gesicht.
»Du könntest bei mir schlafen«, schlägt er vor. »Ich habe ein Apartment, nicht weit von hier.«
»Das ist nett. Aber ich möchte jetzt mal ein bisschen ganz für mich alleine sein.«
Er nickt.
»Und die anderen?«, frage ich.
Frank zuckt die Schultern. »Wir haben uns noch ein paarmal zum Skat getroffen nach deiner Hochzeit. Dann blieb Pepe weg, weil das mit dieser Bedienung passiert ist.«
Er schaut kurz zum Tresen, Dieter arbeitet alleine. »Osti tauchte auf und wieder unter, nach der Wende verschwand er. Und Neuner …«
»Was ist mit Neuner?«
Er schaut mir in die Augen.
»Als du weg warst, hat sich alles verändert. Neuner ist fast durchgedreht, hat ständig herumgeschimpft, war unglaublich aggressiv. Kaum auszuhalten. Dann kam er plötzlich mit Typen hier an … seltsame Gestalten. Rumänen oder Russen. Haben Wodka gesoffen wie die Löcher und zweimal den Laden auseinandergenommen. Dieter hat noch Fotos davon, die kann er dir zeigen. Mit denen hat sich Neuner auf die Socken gemacht, um im Osten richtig abzugreifen.«
»Und dann?«
»Nichts. Hab keine Ahnung, wo er steckt. Wahrscheinlich in irgendeinem Knast in Kasachstan. Ehrlich, ich weiß es nicht. Aber diese Gesellen … heihei. Böses Volk.«
Er macht Zeichen zur Bar, dann sieht er mich wieder an.
»Und du? Hast du je wieder was von deinem Freund gehört, diesem Dicken?«
»Kuhle?«
»Ja. Kuhle.«
Ich schüttle den Kopf.
»Na, war ja auch nicht zu erwarten«, sagt Frank. Dabei greift er in die Innentasche seiner Jacke, holt ein Mobiltelefon heraus. Es summt. Er schaut auf das Display.
»Geschäfte«, sagt er entschuldigend, steht auf und geht auf die Herrentoilette.
»Ich muss weg«, verkündet er, als er zwei Minuten später wieder zurückkommt. Er legt zwanzig Euro auf den Tisch und notiert mit einem billigen Kugelschreiber seine Telefonnummer auf einem Bierdeckel. »Geschäfte«, wiederholt er.
Ich schaue ostentativ auf die Uhr. »Irgendwas Illegales?«, frage ich, und ich bin ehrlich besorgt.
Frank lächelt schwach. »Was ist schon legal?«
Es ist kurz nach zwei, ich weise den Taxifahrer an, eine große Runde zu drehen. Das Ciro ist jetzt ein Restaurant. In der ehemaligen Dachluke logiert ein Kabarett. Das Zelt am Kulturforum gibt es nicht mehr. Sogar das Big Apple ist verschwunden. Ich drücke mir die Nase an der Scheibe platt, aber fast nichts ist mehr so, wie ich es in Erinnerung habe. Dann fahren wir in die Turmstraße. Immerhin, unser Haus steht noch, und es sieht unverändert aus, nur ein bisschen schmutziger, die Hauswand ist bis in zwei Meter Höhe mit Graffiti beschmiert. Ich steige aus dem Wagen und schaue mir die Klingelschilder an, die meisten Namen kann ich kaum lesen, und die anderen enthalten fast keine Vokale.
»Gibt es das Chateau Plaisir noch?«, frage ich. Der schweigsame Fahrer hat einen großen Kopf, blonde, kurze Haare, rund um eine handtellergroße Glatze, er trägt ein T-Shirt, dessen Schulternähte eingerissen sind, in

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