Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
Vom Netzwerk:
den Achseln hat es großflächige Schweißkreise.
»Chateau was?«, fragt er.
Ich nenne ihm die Adresse. Die mir sofort einfällt.
»Ach, der Puff«, sagt er.
Es heißt jetzt Pik Bube, wie sinnig, und das Schild über der Tür zeigt die entsprechende Spielkarte, allerdings ohne dass im Piktogramm irgendwelche Anzüglichkeiten untergebracht worden wären. Die Fassade aber entspricht derjenigen aus meiner Erinnerung.
»Wollen Sie jetzt aussteigen oder nicht?«, fragt der Fahrer. Dann dreht er sich um. »Ich kenne bessere Puffs. Gute Frauen. Gute Ficks. Sie müssen nur sagen.« Er ist Pole oder Ungar oder so.
»Nein, ich will in diesen.«
Will ich?
Die Tür ist schwarz und verkratzt, das Messingschild mit dem Klingelknopf abgegriffen, in den Schaufenstern hängt roter Samt, der staubig aussieht. Wie früher.
Was, wenn Werner hier noch immer zugange ist? Mit zittrigem Zeigefinger drücke ich den Knopf.
Eine Frau im schwarzen Body öffnet. Sie sieht mich kaum an, sagt: »Erstgedeck dreißig Euro, Schnaps und Bier.«
»Okay«, antworte ich.
Es ist ein Flashback. Als wäre ich gestern das letzte Mal hier gewesen. Da sind die Tische und die roten, samtgepolsterten Sitzbänke drum herum. Die Séparées. Da ist die runde Bühne mit dem abgewetzten, dunkelgrünen Bezug. Der billige, furnierte Tresen. Sogar Monitore gibt es noch, allerdings sind sie jetzt flach, dafür etwas lichtschwächer. Und die Pornos haben keine Störstreifen. DVD. Ich bleibe im Windfang stehen und erwarte angstvoll, dass Marla auf mich zukommt oder Geraldine oder Babsi oder sogar, Gott behüte, Jenny. Aber am Tresen sitzt nur eine etwas unförmige Rothaarige, die desinteressiert in meine Richtung schaut, und dahinter steht ein kleiner Mann mit dunklen, glänzenden Haaren in einem Schiesser-Unterhemd. Die Luft ist muffig und feuchtheiß. Dann durchzuckt mich etwas. Die Musik. Ich höre »The Safety Dance«, das Stück endet gerade, dann wird übergeblendet: »Send Me An Angel.« Das ist eine von meinen alten Kassetten. Der Sound ist dumpf, es gibt kaum Höhen. Aber das interessiert hier wahrscheinlich niemanden. Es ist sowieso kein anderer Gast da. Ich mache auf dem Absatz kehrt und verlasse den Laden. Jesus.
Draußen atme ich durch. Was hat mich damals nur geritten? Am Ku’damm, nach ein paar Schritten, winke ich ein Taxi heran.
In der Rücktasche des abgewetzten Beifahrersitzes steckt der »tip«, ein Stadtmagazin, das es auch früher schon gab. Während wir in Richtung Neukölln unterwegs sind, blättere ich durch die Veranstaltungstipps. Morgen, also eigentlich heute, ist Dienstag, der 18. Juli 2006. Eine Kleinanzeige inmitten der Programmübersicht wirbt für ein Konzert, Open Air, Zitadelle Spandau: Ich werde heute auf ein Billy-Idol-Konzert gehen.

8. Open Air
    Das Telefon weckt mich, meine Nackenhaare stellen sich auf, weil ich erwarte, dass Wolfgang oder sogar Gisela selbst anruft. Doch es wird eine Funknummer angezeigt, die ich nicht kenne.
    »Hier Rauh. Rauh wie Unglatt, in alter Rechtschreibung. Ich bin Anwalt.«
Ich bin zwar der Meinung, das Recht auf meiner Seite zu haben, aber mir rutscht trotzdem das Herz in die Kniekehlen. In meinem ganzen Leben hat mich noch kein Anwalt angerufen. Wenn Jens auf seinen Patrouillen in ernste Bedrängnis geriet, drohte er stets mit »seinen Anwälten«. Das war eine Art Superwaffe. Man war praktisch schon mit einem Bein im Gefängnis, wenn ein Anwalt involviert war. Jedenfalls hatte ich das lange geglaubt.
»Ja?«, frage ich vorsichtig.
»Sie haben gestern mit einem Kollegen gesprochen. In der Hotelbar. Er hat mich gebeten, Sie anzurufen.«
Ich atme aus und nicke.
»Ja.«
»Na, dann erzählen Sie mal.«
Das tue ich. Er unterbricht mich ein paarmal, um nachzufragen, nach fünf Minuten habe ich die Sachlage geschildert. Sechzehn Jahre in fünf Minuten.
»Interessant. Und Sie möchten die Aufhebung der Ehe betreiben?«
»Wenn irgendmöglich.«
»Mmh. Mein Kollege hat Ihnen sicher schon erklärt, dass das kein einfaches Verfahren ist.«
»Trotzdem.«
»Die Straftatbestände sind leider verjährt. Beischlaf zwischen Verwandten und Personenstandsfälschung.«
»Was für eine Fälschung?«
»Das Unterschieben von Kindern. Sagen Sie, hat Sie Ihre Frau erpresst, um die Ehe einzugehen oder aufrechtzuerhalten?«
Ich muss nicht lange nachdenken.
»Wir hatten eine Krise, das war im fünften Jahr. Da hat mir meine Frau angedroht, mir die Steuerfahndung auf den Hals zu hetzen, wenn ich sie verlasse. Ich hatte ihr nämlich

Weitere Kostenlose Bücher