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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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gesträhnt, sein Gesicht nicht mehr ganz so braun, er trägt einen Kinnbart, schmal und mittig, und aus dieser Entfernung sieht das ein wenig schäbig aus. Er hat eine Brille in die Stirn geschoben, sein Oberkörper ist weit nach vorn gebeugt, dicht an den Bildschirm des Laptops heran. 1989 hat er Kontaktlinsen getragen, und ich hätte ziemlich viel darauf gewettet, dass Frank einer der Ersten wäre, der sich einer Laser-Augenkorrektur unterziehen würde, aber offenbar hat er das nicht getan. In diesem Moment schiebt er sich die Brille auf die Nase, lehnt sich auf dem Hocker zurück, macht Dieter ein Zeichen und sieht kurz zu mir rüber. Er nickt, vermutlich, weil ich ihn gerade ansehe, aus Höflichkeit und weil er das so gewöhnt ist, man weiß ja nie. Er schiebt die Brille wieder in den fliehenden Haaransatz, beugt sich abermals in Richtung Computer. Doch dann hält er mitten in der Bewegung inne, dreht sich wieder zu mir, kneift die Augen zusammen. Sein Mund öffnet sich. Er schaut kurz in Richtung von Dieter und lässt die Brille wieder auf die Nase rutschen. Jetzt starrt er mich direkt an.
Sein Mund formt geräuschlos ein Wort, ich kann es von seinen Lippen ablesen: Tim.
Ich nicke.

7. Flashback
    »Ich freue mich sehr, dich zu sehen«, sagt Frank zum wiederholten Mal. Er hat mich umarmt und minutenlang schweigend gedrückt. Jetzt greift er ab und zu nach meiner Hand. Als müsse er sich vergewissern, dass ich es wirklich bin. Es ist ein bisschen, als wären wir tatsächlich Brüder.
    Ich habe erzählt, aber nur das Gröbste. Über die Fotos von Mel kann ich nicht sprechen, noch nicht, ich kann ja nicht einmal daran denken. Er hat mich fassungslos und mit offenem Mund angestarrt, als ich von Giselas Intrige berichtete. Und beim Namen meines vermeintlichen Sohnes musste er lachen.
    »Und bei dir?«
    Er verzieht das Gesicht. »1989«, sagt er nachdenklich. »Und dann die Wende. Es lief bombastisch. Ich habe eine Irrsinnskohle bewegt und eine Irrsinnskohle verdient. Innerhalb kürzester Zeit habe ich die wichtigsten Kunden betreut, und es wurde von Tag zu Tag besser. Aber dann …«
    »Der Neue Markt?«, frage ich spekulativ.
    Frank lacht. »Nein, das habe ich vorhergesehen. Diese riesige IT-Seifenblase. Buden, die popelige Websites gebastelt haben, irgendwelche Softwareschrauber, die an Kinkerlitzchen-Shareware gearbeitet haben, hochdotiert und gnadenlos überbewertet. Intershop und so. Es war klar, dass die ganze Sache in sich zusammenfallen würde. Das war … ich weiß nicht mehr. Ende der Neunziger. Nein, mich hat es vorher erwischt.«
    Dieter bringt neues Bier, wir sitzen inzwischen an meinem Tisch. Der Wirt sieht mich an, fragend, hinter seiner blanken, schweißfeuchten Stirn tickert es jetzt erkennbar.
    »Tim, richtig?«
Ich nicke.
»Warst lange nicht mehr hier«, sagt er und geht zurück zum Tresen.
    Frank schaut ins Nichts. Er ist nur ein Jahr älter als ich, aber irgendwas an ihm sieht verbraucht aus, erschöpft. Aber daran kann auch der blöde Bart schuld sein. Wie ich wohl auf ihn wirke?
    »Also?«
    Sein Blick bleibt noch einen Moment lang unfokussiert, dann nimmt er eine Zigarette aus seiner Schachtel. West. Nicht mehr die teuren Davidoffs. Er sieht dem Rauch des ersten Zuges hinterher. Frank trägt einen gepflegten, aber billigen Zweireiher. An der Schulter des Jacketts glänzt der Stoff, wahrscheinlich vom Gurt im Auto. Er muss diesen Anzug schon sehr lange tragen.
    »Na ja, wie das so geht. Nullen vor dem Komma hat man nie genug. Ich habe ein paar schmutzige Geschäfte gemacht, als die falschen Leute auf mich zukamen. Das war praktisch unvermeidbar. Rendite im dreistelligen Bereich. Geldwäsche, Beihilfe zur Steuerhinterziehung und noch ein paar andere Sachen. Zwei Jahre.«
    »Wie – zwei Jahre?«
    »Moabit. JVA. Da, wo wir gewohnt haben. Nur auf der anderen Straßenseite.«
»Du warst im Gefängnis?«
Er nickt langsam.
»Du warst im Gefängnis?«, wiederhole ich.
»Ja. Es ist nicht ganz so schlimm, wie man sich das vorstellt, aber auch keine schöne Erfahrung.« Er nimmt einen Zug, dann einen Schluck Bier. Früher hat er Chivas getrunken.
»Ach du Scheiße.«
Frank nickt. »Das kannst du laut sagen. Zwei Jahre ohne Bewährung, nach achtzehn Monaten durfte ich raus.«
Ich lasse mich rückwärts gegen die Stuhllehne fallen.
»Es blieb sozusagen in der Familie«, sagt er, müde lächelnd. »Papa hat da gearbeitet, und ich auch, wenn man so will.«
Ich kann ihn nur anstarren. Frank im Knast, das geht

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