Geisterfjord. Island-Thriller
Vorschlag, dass sie sich anscheinend von nichts mehr schocken ließ. Sie kam in die Küche und beugte sich zu Putti hinunter. »Ob wir uns das alles nur einbilden? Dann muss Putti doch auch total durcheinander sein, oder?«
»Ich weiß echt nicht, ob ich mir wünschen soll, dass wir durchgeknallt oder völlig normal sind. Ich finde beides gleich schlimm.« Katrín beobachtete, wie sich Puttis Hinterbein reflexartig hin- und herbewegte, während Líf ihm den Bauch kraulte. Er hatte die Augen geschlossen und lag völlig entspannt auf dem Rücken. Er war lange nicht mehr so ruhig gewesen, und Katrín freute sich über das kleine Vorzeichen, das sie für ein gutes Omen für eine ruhige Nacht hielt.
Mitten in der Nacht wachte sie davon auf, dass Garðar sanft an ihrer Schulter rüttelte und sagte, er würde rausgehen und pinkeln. Die Tabletten hatten zwar kein Wunder vollbracht, aber der Schmerz fühlte sich jetzt eher an wie ein gleichmäßiges Ziehen und nicht mehr so, als würde ihr Fuß zerquetscht. Sie lächelte ihn müde an, gähnte und versprach aufzustehen, wenn er zurückkäme. Dann schlummerte sie wieder ein, ohne zu wissen, dass die Nacht zu Ende wäre, wenn sie das nächste Mal aufwachen würde. Und Garðar vom Erdboden verschluckt.
26. Kapitel
Der gespenstische Nebel, der die Stadt eingehüllt hatte, lichtete sich. Freyr sah, wie er sich durch den Skutulsfjörður hinaus zum Meer zog und über den gesamten Ísafjarðardjúp legte. Er nahm den schweren Pappkarton mit den alten Krankenakten vom Rücksitz seines Wagens und trat mit dem Fuß die Tür zu. Die Akten hatte ihm der Archivar des Krankenhauses nur aus Wohlwollen ausgehändigt, und Freyr bezweifelte, dass man in Reykjavík, wo alles größer und bürokratischer war, so hilfsbereit gewesen wäre. Natürlich gab man vieles auf, wenn man von der Stadt aufs Land zog, aber dafür bekam man auch etwas, zum Beispiel gegenseitiges Vertrauen. Freyr fand, dass das Land vergleichsweise besser abschnitt. Der Gerätewart des Krankenhauses hielt Freyr die Tür auf und versuchte unauffällig, in den Karton zu lugen. Als er sah, dass keine neuen Geräte darin waren, wirkte er ein bisschen enttäuscht. Freyr schaute auf die Uhr im Foyer; er war wesentlich länger weggewesen, als er seinen Kollegen gesagt hatte, und ärgerte sich, dass er nicht mehr Zeit einkalkuliert hatte. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als den Karton in sein Büro zu bringen und zurück zur Station zu gehen, wobei er sich bestimmt nicht auf seine Patienten konzentrieren konnte, solange er die Unterlagen nicht durchgesehen hatte.
Auf der Station war alles ruhig, und der Betrieb war trotz Freyrs Verspätung normal gelaufen. Er machte sich sofort an die Arbeit, überflog die Diagnosen, die seit dem Morgen gestellt worden waren, ordnete bei einem Patienten weitere Untersuchungen an, änderte eine Medikamentendosis und aktualisierte die Krankenakten. Anschließend stand er auf und überprüfte, ob noch etwas anstand. Da das nicht der Fall war, erklärte er seinen Kollegen, er sei in seinem Büro, man solle ihn anrufen, wenn es etwas zu tun gäbe. Bevor er die Station verließ, schaute er bei dem alten Lehrer vorbei, schlich sich jedoch leise wieder aus dem Raum des schnarchenden Mannes. Wahrscheinlich hatte er Freyr ohnehin alles gesagt, was er wusste.
Der Karton stand noch auf seinem fast leeren Schreibtisch. Freyr konnte zu viel Krempel nicht ausstehen und sich nicht konzentrieren, wenn es unordentlich war, was Sara nie verstanden hatte. Auf einmal erinnerte er sich an Kleinigkeiten, über die er sich früher aufgeregt hatte und die jetzt überhaupt keine Rolle mehr spielten. Am liebsten hätte er das Telefon genommen und sich für sein damaliges Verhalten entschuldigt. Er wusste schon lange, dass es zu einfach war, sich vorzumachen, vor Bennis Verschwinden sei zwischen ihnen alles in Ordnung gewesen. Die Tragödie und die Trauer hatten alles andere überschattet. Wahrscheinlich wäre ihre Ehe langsam eingeschlafen, und sie hätten sich am Ende getrennt, auch wenn Benni nicht verschwunden wäre. Der einzige Unterschied wäre der, dass sie sich das Sorgerecht für ihren Sohn geteilt hätten, anstatt das volle Anrecht auf ihre Erinnerungen an ihn zu haben. Freyr beschloss, nicht anzurufen – es war unnötig, mit der Vergangenheit abzuschließen, da sie in der Gegenwart überhaupt keine Rolle mehr spielte. Hoffte er zumindest.
Von den alten Papieren, die so lange in verschlossenen
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